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Berufliche Vorsorge – eine Betrachtung aus ökonomischer Sicht

Die zweite Säule ist zentral für die Altersvorsorge. Durch gezielte Reformen kann sie effizienter werden.
David S. Gerber
  |  16. September 2025
    Forschung und StatistikMeinungPerspektiven
  • Berufliche Vorsorge
Das Sparkapital in der beruflichen Vorsorge muss heute für einen deutlich längeren Ruhestand ausreichen als vor 40 Jahren. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Das Umfeld und die Anforderungen an die berufliche Vorsorge haben sich seit 1985 verändert.
  • Ökonomisch betrachtet muss der Sparprozess effektiv und effizient sein.
  • In der zweiten Säule sind regulatorische Anpassungen nötig.

Die berufliche beziehungsweise betriebliche Vorsorge reicht bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Als 1985 das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) in Kraft trat, bestand ein dichtes Geflecht von über 6000 Pensionskassen. Entsprechend waren zum Zeitpunkt der Einführung des Obligatoriums 90 Prozent der Arbeitnehmenden bereits einer Vorsorgeeinrichtung angeschlossen (vgl. Grafiken 1 und 2).

Mit einem Kapital, das heute fast dem Anderthalbfachen des Bruttoinlandprodukts (BIP) der Schweiz entspricht, ist die berufliche Vorsorge neben der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) die tragende Säule der Altersvorsorge. Die zweite Säule sichert Arbeitnehmende und ihre Angehörigen – zusammen mit der ersten Säule – gegen die Risiken Alter, Invalidität und Tod. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist neben der Vorsorgefunktion die Rolle der Vorsorgeeinrichtungen als institutionelle Investoren zur Finanzierung der Wirtschaft wichtig.

Jüngste Reformen gescheitert

Das Umfeld der zweiten Säule und damit auch die Anforderungen an das System wandeln sich stetig. Meilensteine der regulatorischen Weiterentwicklung des BVG waren 1995 das Freizügigkeitsgesetz und Anpassungen zu Wohneigentumsförderungen (vgl. Grob 2025) sowie die BVG-Revision ab 2004, welche unter anderem den Umwandlungssatz sowie die Eintrittsschwelle beziehungsweise den Koordinationsabzug senkte. Die Strukturreform von 2012 verbesserte schliesslich unter anderem die Aufsicht respektive die Corporate Governance der Pensionskassen. Seither sind alle Reformversuche der beruflichen Vorsorge an der Urne gescheitert.

Vorsorgeziel erfüllt?

In Bezug auf das Vorsorgeziel stellt sich aus ökonomischer Sicht unter anderem die Frage: Wie «effektiv» ist die berufliche Vorsorge?

Noch vor zwanzig Jahren wurde das Leistungsniveau, welches die zweite Säule zusammen mit der ersten Säule erreichen soll, also die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung, häufig quantifiziert als 60 Prozent des Einkommens vor dem Ruhestand, klar übertroffen.

Die Ersatzquote aus Renteneinkommen ist seither zwar vor allem bei höheren Einkommen gesunken (vgl. SRF 2024). Wie eine Umfrage von Swisscanto zeigt, lag die Ersatzquote 2024 für Einkommen von 80 000 Franken bei 71 Prozent und damit weiterhin über dem Leistungsziel von 60 Prozent (vgl. Swisscanto 2025).

Gründe für eine längerfristig sinkende Ersatzquote sind unter anderem der vermehrte Kapitalbezug (vgl. Grafik 3), die steigende Lebenserwartung – das Kapital muss länger reichen –, sowie geringere Kapitalerträge im Tiefzinsumfeld; letzteres betrifft vor allem Kassen, die nur risikoarm anlegen können oder Vorsorgeeinrichtungen mit hohen Umverteilungen (vgl. u.a. Cosandey et al. 2024, SRF 2024 oder BSV 2024).

Fazit: Insgesamt erfüllt die zweite Säule ihren wichtigen Beitrag zur Erreichung des Vorsorgeziels der gewohnten Lebenshaltung, insbesondere wenn man alle Leistungen berücksichtigt.

Stimmt die Verzinsung?

Aus ökonomischer Sicht stellt sich zudem die Frage der Effizienz: Können die Ertragspotenziale optimal genutzt werden?

Im Kapitaldeckungsverfahren ist der Ertrag aus der Anlagetätigkeit neben den Beiträgen von Arbeitnehmenden und Arbeitgebern eine zentrale Quelle des Vorsorgevermögens. Oft macht die Zinskomponente über 40 Jahre gut ein Drittel aus. Das Renditepotenzial hängt dabei von der individuellen Risikofähigkeit einer Vorsorgeeinrichtung – wie beispielsweise den Schwankungsreserven oder der Altersstruktur – ab.

In jüngerer Zeit waren nicht nur die grossen Performance-Unterschiede der Vorsorgeeinrichtungen vermehrt in der öffentlichen Diskussion, sondern auch die zum Teil hohe Differenz zwischen erzielter Rendite und dem Zinsertrag, der daraus den Arbeitnehmenden effektiv gutgeschrieben wird (vgl. Michel 2025, Swisscanto 2025). Das breite Erstaunen darüber zeigt, dass es sowohl an Transparenz als auch am Bewusstsein der Versicherten fehlt.

Da Kosten die Nettorendite verringern, sollten sie möglichst niedrig sein. Für Versicherte entscheidend ist allerdings, wie viel Zins gutgeschrieben wird.

Zu den Kosten gehören Vermögensverwaltungs- und Verwaltungskosten sowie Kostenprämien. Im Jahr 2023 machten sie 0,59 Prozent der Gesamtbilanzsumme beziehungsweise 6,7 Milliarden Franken aus (vgl. BFS 2025a). Die Vermögensverwaltungskosten als grösster Kostenbestandteil beliefen sich auf 0,43 Prozent der Gesamtbilanzsumme, wobei die Unterschiede zwischen den Kassen gross sind (vgl. Eidgenössische Finanzkontrolle 2023).

Wichtige Einflussfaktoren sind unter anderem die Grösse – sprich die Skalenerträge – und die Anlagepolitik – also beispielsweise ein aktiver Anlagestil, die Liquidität der Assets und die Nutzung des Wettbewerbs bei der Vergabe von Anlagemandaten (vgl. Mettler 2023). Generell ist das Kostenbewusstsein nicht bei allen Kassen gleich ausgeprägt (vgl. Eidgenössische Finanzkontrolle 2023).

Fazit: Es bestehen grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Kassen bezüglich Performance, Verzinsung oder Kosten, wobei mehr Wettbewerb und Transparenz die Effizienz erhöhen.

Ist die Generationengerechtigkeit gewährleistet?

Eine weitere Frage der Effizienz ist: Wie kann sich die zweite Säule an demografische Veränderungen wie die steigende Lebenserwartung anpassen?

Das Sparkapital muss heute für einen deutlich längeren Ruhestand ausreichen als noch 1985 (BFS 2024a). Mit der ersten BVG-Revision wurde der auf Gesetzesstufe gehobene Umwandlungssatz ab 2005 schrittweise um 0,4 Prozentpunkte auf 6,8 Prozent gesenkt. Dies entspricht einer Reduktion von 5,5 Prozent – während die Lebenserwartung bei Erreichen des Referenzalters 65 bei den Männern bis heute um 36 Prozent zugenommen hat. Bei den Frauen liegt die Zunahme seit 1985 bei 20 Prozent. Weitere geplante Senkungen scheiterten an der Urne.

Da die grosse Mehrheit der Arbeitnehmenden überobligatorisch versichert ist, können viele Kassen den gesetzlichen Umwandlungssatz kompensieren (NZZ 2025). So liegen die von den Vorsorgeeinrichtungen effektiv angewendeten Umwandlungssätze oft um die 5 Prozent oder darunter.

Fazit: Ein zu hoher gesetzlicher Umwandlungssatz ist vor allem für jene Kassen problematisch, die nur das Obligatorium abdecken. Sie müssen auf andere Finanzierungsquellen wie Anlageerträge der Aktiven zurückgreifen, was aus Sicht der Generationengerechtigkeit eine unerwünschte Umverteilung darstellt, die das Altersguthaben der Jüngeren schmälert (vgl. BSV 2024).

Bedürfnisse des Arbeitsmarkts berücksichtigt?

Eine effiziente berufliche Vorsorge muss weiter den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts entsprechen – und dieser hat sich in den vergangenen 40 Jahren gewandelt.

So wechseln Arbeitnehmende heute häufiger den Arbeitgeber – und damit auch die Vorsorgeeinrichtung: Im Durchschnitt arbeiten 25- bis 64-Jährige heute weniger als 9 Jahre im selben Unternehmen (BFS 2024b). Querfinanzierungen zwischen den Altersgruppen im Versichertenkollektiv sind in einem mobileren Arbeitsmarkt noch problematischer, da Arbeitnehmende immer öfter nicht im selben Vorsorgewerk verbleiben.

Zudem sind die Altersgutschriften, welche mit Arbeitnehmenden- und Arbeitgeberbeiträgen finanziert werden, in Prozent des koordinierten Lohns im BVG nach Altersgruppen gestaffelt (vgl. z.B. BSV 2018). Dies verteuert ältere Arbeitnehmende systematisch und schmälert ihre Arbeitsmarktchancen.

Eine weitere Herausforderung für die zweite Säule ist der Trend zu Teilzeitarbeit beziehungsweise zu atypischen Arbeitsmodellen. Seit 1985 ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten um fast 20 Prozentpunkte auf knapp 40 Prozent gestiegen (vgl. Mergele et al. 2024 und BFS 2025b). Aufgrund von Eintrittsschwelle beziehungsweise Koordinationsabzug können solche Beschäftigte je nach Vorsorgeeinrichtung nur unterproportional ein Vorsorgevermögen aufbauen.

Fazit: Aufgrund gescheiterter Reformen besteht im Bereich Arbeitsmarktkompatibilität weiterhin Handlungsbedarf.

Technologie, veränderte Bedürfnisse?

Als zentrales Element im schweizerischen Sozialversicherungssystem muss die zweite Säule auf technologische Entwicklungen, neue Lebensformen und Wertewandel reagieren – ohne den Grundauftrag einer effektiven und effizienten Vorsorge aus den Augen zu verlieren.

Heute ist es selbstverständlich, dass sich Versicherte online über die Entwicklung ihres oft wichtigsten Vermögensteils informieren können. Ein nächster Schritt ist die Integration der gesamten Altersvorsorge (inkl. erste und dritte Säule), um fundierte Entscheidungen – etwa zu einem Pensumswechsel – zu ermöglichen. Aktuelle Bestrebungen in der Verwaltung und im Parlament zielen deshalb darauf ab, entsprechende (technische) Hürden abzubauen.

Nachhaltigkeit ist ein weiteres Beispiel: So müssen Pensionskassen Anlagerisiken durch den Klimawandel einschätzen können, aber auch steigenden Ansprüchen an Transparenz gerecht werden (vgl. Gilgen 2025). Im überobligatorischen Bereich lässt das BVG den Kassen Freiraum, auch individuelle Anlagebedürfnisse – etwa zur Nachhaltigkeit – zu berücksichtigen. Grundsätzlich erfolgt der Einfluss der Versicherten aber nicht individuell, sondern über die Vertretungen in den paritätisch gestalteten Lenkungsorganen (meistens der Stiftungsrat). Diese sind gefordert, die heterogenen Bedürfnisse optimal auszubalancieren.

Fazit: Der angemessene Umgang mit technologischen Entwicklungen oder wandelnden Bedürfnissen ist eine Herausforderung für jede Vorsorgeeinrichtung, aber auch das System insgesamt.

Regulatorische Anpassungen nötig

Abschliessend lässt sich sagen: Die zweite Säule geniesst international weiterhin Anerkennung – trotz gescheiterter Reformen in den letzten Jahren (vgl. z. B. IMF 2021). Ein wesentlicher Grund ist ihr vergleichsweise hoher Kapitalbestand. Um den Erfolg der zweiten Säule in die nächsten 40 Jahre zu überführen, muss sich das System an wandelnde Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft anpassen. Das Leistungsniveau lässt sich nur sichern, wenn der Kapitalaufbau durch einen effektiven und effizienten Sparprozess gefördert wird. Zentral ist dabei, dass die Versicherten die zweite Säule gut verstehen.

Obwohl das BVG für Vorsorgeeinrichtungen Spielraum für eigenverantwortliches Handeln lässt, werden regulatorische Anpassungen nötig. Themen wie Transparenz, ausreichendes Alterskapital, Demografie, Individualisierung, Generationengerechtigkeit, Komplexität oder Digitalisierung erfordern Lösungen, welche Sozialpartner und die Politik ausdiskutieren müssen. So kann die berufliche Vorsorge ihre zentrale Ankerfunktion auch in Zukunft weiter wahrnehmen.

Der Autor war von 2004 bis 2005 Mitglied der Expertenkommission Strukturreform. Er ist heute Leiter Versicherung und Risiken im Staatssekretariat für internationale Finanzfragen. In diesem Beitrag vertritt er seine persönliche Meinung.

Literaturverzeichnis

BFS (2024a). Lebenserwartung. Tabellen. 26. September.

BFS (2024b). Die berufliche Mobilität in der Schweiz 2023. 24. Oktober.

BFS (2025a). Pensionskassenstatistik 2023. 26. Mai.

BFS (2025b). Teilzeitarbeit. 6. März.

Borek, Thomas; Schüpbach, Salome (2025). Weniger Pensionskassen verwalten mehr Kapital. Soziale Sicherheit CHSS. 17. April.

BSV (2018). Fragen zur Altersvorsorge 2020 (FAQ). 13 September.

BSV (2024). Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform). 24. Juni

Cosandey, Jérôme; Estevez, Sonia (2024). Die zweite Säule verbessert die Generationengerechtigkeit. Avenir Suisse. 5. Juli.

Eidgenössische Finanzkontrolle (2023). Verwaltungskosten in der 2. Säule. EFK-20297. 25. Januar.

Gilgen, Fredy (2025). So kommt das Nachhaltige ins Pensionskassengeld. NZZ. 3. Juni.

Grob, Franziska (2025). Berufliche Vorsorge im Wandel: Meilensteine seit Einführung des BVG. Soziale Sicherheit CHSS, 11. Juni.

IMF (2021). Reforming the Swiss Pension System.

Mergele, Lukas; Kaiser, Boris; Wehrli, Damian; Schönleitner, Tino; Siegenthaler, Michael; Föllmi, Reto (2024). Die langfristige Entwicklung von Arbeit, Freizeit und Produktivität in der Schweiz. Seco. 22. Februar.

Mettler, Ueli (2023). Wie lässt sich die Kosteneffizienz in der zweiten Säule steigern? Soziale Sicherheit CHSS. 7. November.

Michel, Charlotte (2025). Pensionskassen: grosse Unterschiede bei der Verzinsung. SRF. 8. April.

NZZ (2025). «Die berufliche Vorsorge muss attraktiver werden, insbesondere bei unseren jüngeren Generationen». 3. Juni.

SRF (2024). Weniger Geld im Alter: Rentenguthaben sind deutlich gesunken. 19. August.

Swisscanto (2025): Schweizer Pensionskassenstudie 2025.

Dr. rer. pol., Leiter Versicherung und Risiken, Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF)
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