Die öffentliche Arbeitsvermittlung richtet sich neu aus

Die Arbeitslosenversicherung setzt sich mit der «Strategie öffentliche Arbeitsvermittlung 2030» neue Ziele. Damit reagiert sie auf die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt der vergangenen Jahre.
Simon Röthlisberger, Melania Rudin
  |  03. Oktober 2024
    Recht und Politik
  • Arbeitslosenversicherung
  • Interinstitutionelle Zusammenarbeit
Die persönliche Beratung der Stellensuchenden steht im Zentrum öffentlichen Arbeitsvermittlung. Regionales Arbeitsvermittlungszentrum in Genf. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Mit der Gründung der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) wurde die öffentliche Arbeitsvermittlung vor knapp 30 Jahren komplett neu strukturiert und organisiert.
  • Nun werden mit der «Strategie öffentliche Arbeitsvermittlung 2030» nächste Reformen eingeläutet.
  • Damit soll die öffentliche Arbeitsvermittlung künftig noch arbeitsmarktnäher, professioneller und digitaler werden.

Die Schweiz war in den frühen 1990er-Jahren aufgrund einer langen wirtschaftlichen Rezession mit einer bis da noch nie gesehenen Arbeitslosigkeit konfrontiert: Zwischen Februar 1990 und Februar 1994 stieg die Arbeitslosenquote von 0,5 auf 5,2 Prozent. Gleichzeitig erhöhte sich der Anteil der Langzeitarbeitslosen, das heisst der Personen, die mehr als ein Jahr arbeitslos sind, auf über 30 Prozent. Die sich rasch verschlechternde Situation auf dem Arbeitsmarkt machte damals deutlich, dass die bisherige öffentliche Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenberatung, die vielerorts ohne Fachpersonen auskommen musste, nicht mehr genügten.

In einem für Schweizer Verhältnisse wohl einzigartig grossen Sprung wurde 1995 die öffentliche Arbeitsvermittlung stark umgebaut, regionalisiert und professionalisiert. Das revidierte Arbeitslosenversicherungsgesetz von 1995 verpflichtete die Kantone, anstelle der rund 3500 Gemeindearbeitsämter schweizweit 120 Regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV) einzuführen. Im neuen Arbeitslosenversicherungsgesetz wurden zudem die Ziele der Verhütung und der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit sowie der raschen und dauerhaften Wiedereingliederung von Stellensuchenden verankert.

Gleichzeitig gewann der Leitgedanke der «Aktivierung» an Bedeutung: Im Sinne einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik wurden neben den regelmässigen Beratungsgesprächen die sogenannten arbeitsmarktlichen Massnahmen – beispielsweise Kurse, Praktika, Programme zur vorübergehenden Beschäftigung – stark ausgebaut.

Stellensuchende und Arbeitgebende im Fokus

Die öffentliche Arbeitsvermittlung hat einen klaren Fokus auf die Stellensuchenden und die Arbeitgebenden. Zu Ersteren gehören gemäss Arbeitsvermittlungsgesetz auch Stellensuchende, die keinen Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung haben. Vereinfacht gesagt, lassen sich die Leistungen in die Kategorien Vermittlung, Beratung, Unterstützung und Kontrolle einteilen.

Die RAV vermitteln Stellensuchende auf offene Stellen und sind für Arbeitgebende die regional verankerte Ansprechpartnerin bei der Besetzung der offenen Stellen. Sie beraten Stellensuchende und unterstützen sie mittels arbeitsmarktlicher Massnahmen bei ihrer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Und schliesslich kontrollieren sie bei den Stellensuchenden, die Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung haben, die Einhaltung ihrer Mitwirkungspflichten.

Arbeitswelt hat sich verändert

Seit der Gründung der RAV vor knapp 30 Jahren hat sich die Arbeitswelt verändert: Trends wie die digitale Transformation, lebenslanges Lernen, die demografische Alterung, und Migration betreffen die öffentliche Arbeitsvermittlung direkt. Entsprechend wurden die Aufgaben der öffentlichen Arbeitsvermittlung aufgrund gesellschaftlicher Ansprüche und politischer Aufträge vielschichtiger. So hat die «Vermittlung» seit 2018 mit der Umsetzung der Stellenmeldepflicht für Berufsarten mit hoher Arbeitslosigkeit an Relevanz gewonnen.

Angesichts der zunehmenden Heterogenität der Stellensuchenden ist die interinstitutionelle Zusammenarbeit heute unabdingbar. Die öffentliche Arbeitsvermittlung kooperiert deshalb eng mit den Institutionen aus den Bereichen Soziales, Gesundheit, Bildung und Migration. Die Wichtigkeit der interinstitutionellen Zusammenarbeit wird aktuell in Bezug auf die Erwerbsintegration von Personen mit Schutzstatus S auch in den öffentlichen Diskussionen sichtbar. Für die Fachpersonen in der Praxis ist sie schon längst evident – zum Beispiel bei der Koordination von Leistungen für Personen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder an der Schnittstelle zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung.

Arbeitsvermittlung der Zukunft

Um diesen veränderten Rahmenbedingungen gerecht zu werden, hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) im Auftrag der Aufsichtskommission der Arbeitslosenversicherung – gemeinsam mit Kantonen und Sozialpartnern – die Strategie öffentliche Arbeitsvermittlung 2030 erstellt. Am Strategiepapier, das im Jahr 2023 veröffentlicht wurde, waren rund 80 Fachpersonen beteiligt.

Die verbindlichen Ziele der Strategie lassen sich sinngemäss in drei Wirkungsbereiche gliedern:

  • arbeitsmarktnah sein;
  • professionell beraten;
  • und konsequent digitalisieren.

Insgesamt enthält die Strategie zwölf Ziele, die über die Wirkungsbereiche hinweg miteinander verbunden sind (siehe Kasten). So zum Beispiel die Ziele Arbeitsmarktnähe und Digitalisierung: Um arbeitsmarktnah und wirksam vermitteln zu können, soll eine breit und intensiv genutzte Stellenplattform etabliert werden, die auch ein automatisiertes Stellenmatching anbietet.

Zwölf strategische Ziele

Die Strategie öffentliche Arbeitsvermittlung 2030 umfasst zwölf Ziele, die sich in drei Wirkungsbereiche gliedern lassen:

Arbeitsmarktkenntnisse ausbauen und wirksame Vermittlung gliedern lassen
  • Arbeitsmarktnahe Vermittlungsdienstleistungen und arbeitsmarktliche Massnahmen gezielt weiterentwickeln
  • Möglichkeiten für Ausbildungen, Weiterbildungen und berufliche Umorientierungen von Stellensuchenden mit arbeitsmarktlich indiziertem Qualifikationsbedarf markant verbessern
  • Breit und intensiv genutzte Stellenplattform etablieren
  • Arbeitgeberkontakte und Arbeitsmarktkenntnisse der öffentlichen Arbeitsvermittlung ausbauen
Persönliche Beratung der Stellensuchenden ins Zentrum stellen, individualisieren und professionalisieren
  • Professionelle Beratung von Stellensuchenden stärker ins Zentrum der Leistungen stellen
  • Ausmass und Fokus der Beratung stärker am Bedarf der Stellensuchenden ausrichten
  • Individualisierung und Eigenverantwortung bei der Nutzung von arbeitsmarktlichen Massnahmen fördern
  • Mitarbeitende vermehrt entlang geeigneter Tätigkeits- und Kompetenzprofile rekrutieren und mit schweizweit einheitlichen Basis- und Weiterbildungen weiterentwickeln
Integrierte, durchgängige digitale Lösungen etablieren
  • Harmonisierte und systemübergreifende Prozesse etablieren, um den Aufwand für die Fallführung zu reduzieren
  • Nutzerfreundliches Kundenportal als zentralen Kontaktpunkt zur öffentlichen Arbeitsvermittlung etablieren
  • Risikobasierte, automatisierte Kontrollen einführen, um den administrativen Aufwand zu reduzieren
  • Automatisiertes Stellen-Matching zur Verfügung stellen

Auf den Arbeitsmarkt ausrichten

Die Leistungen der öffentlichen Arbeitsvermittlung sollen sich in Zukunft noch stärker an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts ausrichten – indem unter anderem die die Kontakte zu den Arbeitgebenden ausgebaut und die Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung der Stellensuchenden verbessert werden. Die persönliche Beratung der Stellensuchenden wird stärker ins Zentrum gerückt, weiter professionalisiert und individueller am Bedarf ausgerichtet.

So soll es künftig in allen Kantonen möglich sein, Beratungsgespräche nicht nur vor Ort, sondern auch mittels Videokonferenz durchzuführen. Zudem soll – je nach Resultat der entsprechenden Pilotprojekte – der flächendeckende Einsatz von Job Coaches umgesetzt werden. Diese verfügen über vielfältige Kontakte zu lokalen Arbeitgebenden und unterstützen die Stellensuchenden mit vergleichsweise tiefer Arbeitsmarktfähigkeit bei der nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt.

Weiter wird die Eigeninitiative der Stellensuchenden beim Zugang zu arbeitsmarktlichen Massnahmen gefördert: Für die Fachpersonen in der öffentlichen Arbeitsvermittlung werden schweizweit die Basis- und Weiterbildungen weiterentwickelt und harmonisiert.

Die Umsetzung der Strategie soll insgesamt kostenneutral erfolgen. Mehrkosten für die Entwicklung und den Betrieb von digitalen Services werden durch Effizienzsteigerungen kompensiert. Deshalb sollen Prozesse harmonisiert und Dienstleistungen digitalisiert sowie teilweise automatisiert werden. Die dadurch freigesetzten Ressourcen fliessen konsequent in die persönlichen Kundenkontakte.

Umsetzung beginnt

Die Arbeiten für die Umsetzung der «Strategie öffentliche Arbeitsvermittlung 2030» haben begonnen und wie bereits die Erarbeitung erfolgt auch die Umsetzung in Zusammenarbeit zwischen dem SECO, den Kantonen und den Sozialpartnern. Zusätzlich wird bei der Umsetzung fortan der Dialog mit den verschiedenen Stakeholdern eng geführt.

Die Umsetzungsmassnahmen auf nationaler, interkantonaler oder kantonaler Ebene reichen vom niederschwelligen Erfahrungsaustausch bis zu grossen Organisationsentwicklungs- und IT-Projekten. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass der direkte Kontakt zwischen den Mitarbeitenden der RAV und ihren Kunden vermutlich auch in Zukunft der wichtigste Erfolgsfaktor für eine wirksame öffentliche Arbeitsvermittlung bleiben wird.

 

Dieser Beitrag basiert auf dem im Juli in der «Volkswirtschaft» erschienen Artikel Strategie öffentliche Arbeitsvermittlung 2030.

Leiter Steuerung und Führungsunterstützung, Markt und Integration, Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)
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Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Steuerung und Führungsunterstützung, Ressort Markt und Integration, Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)
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