Plattform gegen Armut: Mit begrenzten Mitteln viel erreicht

Die Plattform gegen Armut schafft einen Mehrwert. Zu diesem Schluss gelangt eine externe Evaluation im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen.
Bettina Rüegge
  |  19. Juni 2024
    Forschung und StatistikRecht und Politik
  • Armut
Fachtagung zu mehrfachbelasteten Jugendlichen ohne Ausbildung und Beruf im Sommer 2022 in Bern. (BSV)

Auf einen Blick

  • Eine externe Evaluation hat im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen die Nationale Plattform gegen Armut untersucht.
  • Die Plattform ist auf Bundesebene etabliert und erreicht insbesondere Fachleute; weniger bekannt ist sie in den Kantonen, Städten und Gemeinden sowie in der Politik.
  • Die Befragten schätzen die Ziele und Themenschwerpunkte der Plattform als relevant ein.

Der Bund hat 2019 die Nationale Plattform gegen Armut (NAPA) lanciert, die er gemeinsam mit Kantonen, Gemeinden und Organisationen der Zivilgesellschaft betreibt. Die bis Ende 2024 befristete Plattform ist das Nachfolgeprojekt des Nationalen Programms zur Prävention und Bekämpfung von Armut (NAP). Sie will das Wissen von Fachpersonen, politischen Entscheidungstragenden und Betroffenenorganisationen erweitern und Impulse für die Weiterentwicklung und Optimierung von relevanten Angeboten zur Armutsbekämpfung und -prävention vermitteln (siehe Bundesrat 2024 und Dubach 2024).

Die Plattform gegen Armut stellt Grundlagen und Praxisinstrumente zu fünf Schwerpunktthemen zur Verfügung: Beteiligung betroffener Personen; Berufswahl und Berufseinstieg; Qualifizierung von Erwachsenen; Familienarmut; Corona-Pandemie und Armut in der Schweiz. Darüber hinaus bietet sie Vernetzungsmöglichkeiten für Akteurinnen und Akteure der Armutsthematik.

Um gegenüber dem Parlament, dem Bundesrat und den Entscheidungstragenden in den Kantonen, Städten und Gemeinden Rechenschaft ablegen zu können und um dem Bundesrat konkrete Vorschläge für die künftige Ausgestaltung der Armutsprävention und -bekämpfung in der Schweiz unterbreiten zu können, hat das Forschungsbüro INFRAS in Zusammenarbeit mit dem Sozialwissenschaftler Ralph Thomas im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) zwischen Dezember 2022 und September 2023 eine Evaluation der Nationalen Plattform gegen Armut durchgeführt (Stern et al. 2024). Das Evaluationsteam arbeitete mit verschiedenen methodischen Ansätzen – unter anderem einer standardisierten Befragung sowie qualitativen Interviews und Fokusgruppen mit verschiedenen Akteursgruppen.

Positive Rückmeldungen

Die Befragungen zeigen eine hohe Zustimmung zu den Zielen und Themenschwerpunkten der Nationalen Plattform gegen Armut. Die Relevanz der Schwerpunkte wurde von den befragten Personen überwiegend als hoch eingeschätzt. Ein Teil der Personen wünscht sich, dass die Plattform weitere Themen aufgreift. Die Organisationsstrukturen und Gremien der Plattform wurden als weitgehend angemessen bewertet. Die relevanten Akteure und Akteurinnen der Armutsbekämpfung sind mehrheitlich eingebunden. Ein Teil der befragten Personen sieht jedoch Optimierungsbedarf bei der Zusammensetzung der Gremien. So sind aus ihrer Sicht beispielsweise die Wirtschaft und die lateinische Schweiz untervertreten.

Aus Sicht des Evaluationsteams gehen die Pläne des BSV für eine permanente Partizipationsstruktur für armutsbetroffene Personen in die richtige Richtung. So unterstützen die Befragten die Bemühungen des BSV, Armutsbetroffene einzubeziehen. Allerdings wünschen sich die Betroffenenorganisationen einen stärkeren Einbezug bei grossen Fachtagungen.

Leistungsziele erreicht

Auch wenn der Betrieb der Plattform noch bis Ende 2024 läuft und einige Produkte noch in Arbeit sind, geht das Evaluationsteam davon aus, dass die Leistungsziele insgesamt gut erreicht werden. Dies ist besonders positiv zu bewerten, da die Umsetzung teilweise in die Zeit der Corona-Pandemie fiel.

Die Plattform ist auf Bundesebene etabliert und erreicht in erster Linie Fachleute. Weniger bekannt ist sie hingegen in den Kantonen, Städten und Gemeinden sowie bei Politikerinnen und Politikern.

Wer die Plattform kennt und nutzt, schätzt deren Angebote: Die Studien, die Leitfäden und die Veranstaltungen werden sehr positiv bewertet.

Armut sichtbar machen

Je besser die Nutzenden die Nationale Plattform gegen Armut kennen, desto eher geben sie die dort enthaltenen Informationen weiter. Am häufigsten werden laut der Online-Befragung die Leitfäden, Studien und Berichte weiterempfohlen. Allein dadurch, dass es sich um eine Plattform auf nationaler Ebene handelt, die sich mit der Armutsthematik in einem umfassenden Sinne auseinandersetzt, vermag sie Impulse für die Armutspolitik zu setzen. So beeinflussen die behandelten Themen die öffentliche Debatte, indem Erkenntnisse und Argumente in Argumentationspapieren aufgegriffen und weiterverwendet werden.

Darüber hinaus liegt die Wirkung der Plattform vor allem in der Vernetzung der verschiedenen Akteure und dem Beitrag zur systemübergreifenden Koordination. Die langfristigen Beiträge zur Verbesserung der Armutsbekämpfung sind aus methodischen Gründen (Beobachtungszeitraum, indirekte Wirkungszusammenhänge, etc.) schwierig zu messen. Es gibt jedoch einige kantonale und kommunale Projekte, die nachweislich auf Impulse der Plattform zurückgehen.

Insgesamt schätzen die Befragten das Kosten-Nutzen-Verhältnis als sehr hoch ein – wobei sie die für die Plattform zur Verfügung stehenden Mittel als bescheiden bezeichnen.

Plattform schafft Mehrwert

Die Nationale Plattform gegen Armut vermag hauptsächlich in vier Bereichen einen Mehrwert zu schaffen: Erstens verankert sie das Thema Armut auf Bundesebene, wobei das BSV eine Koordinationsfunktion auf nationaler Ebene im Bereich der Armutsprävention und -bekämpfung übernimmt. Zweitens vernetzt sie die verschiedenen Akteursgruppen in der Armutsprävention und ‑bekämpfung. Drittens stellt sie anwendungsorientiertes und qualitativ fundiertes Grundlagenwissen bereit. Und viertens schliesslich sind die Plattforminhalte breit abgestützt, unter anderem durch die Einbindung von Armutsbetroffenen auf verschiedenen Ebenen.

Politisch-strategische Empfehlungen

Auf der politisch-strategischen Ebene hat das Evaluationsteam drei Empfehlungen ausgesprochen. Sie richten sich ans BSV sowie an die Steuergruppe.

Erstens ist aus Sicht des Evaluationsteams zentral, dass die Plattform weitergeführt wird und der Bund auch weiterhin eine Koordinationsfunktion wahrnimmt. Eine stärkere politische Verankerung ist wünschenswert, um den Empfehlungen und Produkten der Plattform mehr Legitimität zu verleihen.

Zweitens sollte bei einer Weiterführung der Plattform im Vorfeld geklärt werden, welche Zielgruppen angesprochen werden sollen. Falls die Verbreitung der Inhalte bei den bisher nicht oder schlecht erreichten Zielgruppen gefördert werden soll, müsste der Mitteleinsatz entsprechend angepasst werden.

Um die Wirksamkeit der eher punktuellen Beiträge von NAPA weiter zu verbessern, sollten sich drittens das BSV und die Steuergruppe mit der nachhaltigen Wirkung der Produkte und Austauschgefässe auseinandersetzen. Sollte eine Anschubfinanzierung von Projekten ins Auge gefasst werden, braucht es von Seiten der Plattform klare Kriterien für die Förderung sowie entsprechende Ressourcen.

Operative Empfehlungen

Auf operativer Ebene hat das Evaluationsteam fünf Empfehlungen formuliert:

  • Die Gremienstruktur und -zusammensetzung gilt es zu überdenken. So sollte die Steuergruppe im Hinblick auf sprachregionale Abdeckung mit weiteren Zielgruppen der Plattform gezielt ergänzt werden (etwa zusätzliche kommunale Vertretungen und mehr Armutsbetroffene). Bezüglich der Begleitgruppe ist ein Ersatz durch ein neues und dynamischeres Format in Erwägung zu ziehen (etwa themenspezifische Expertenpools).
  • Um Wirtschaft und Zivilgesellschaft stärker einzubinden, könnten Vertretende von Arbeitgebenden, Branchenverbänden, Sozialpartnern oder auch Unternehmen als Referentinnen oder als Mitglieder eines Expertenpools einbezogen werden.
  • Aus Sicht des Evaluationsteams müssten die Multiplikatorenrollen geklärt und verbindlicher gestaltet werden. Es fehlt eine Strategie, die verbindlich festhält, welche Zielgruppen über welche Akteurinnen und Akteure und Kanäle angesprochen werden. Es scheint ein vielversprechender Weg, die Nutzung der kantonalen Strukturen der interinstitutionellen Zusammenarbeit (IIZ) für die Verbreitung von Informationen sowie die Bekanntmachung der Nationalen Plattform gegen Armut in den Kantonen stärker voranzutreiben.
  • Zentral ist, dass das BSV die Pläne für eine Beteiligungsstruktur von Armutsbetroffenen weiterverfolgt. So kann auf nationaler Ebene die Möglichkeit der Mitbestimmung verstetigt werden.
  • Die drei bestehenden Schwerpunktthemen «Berufswahl und Berufseinstieg», «Qualifizierung von Erwachsenen» und «Familienarmut» sollten grundsätzlich beibehalten werden. Eventuell könnten neue Themen aus dem Armutsmonitoring aufgenommen werden.

Abschliessend lässt sich sagen: Konzept und Organisation der Plattform bewähren sich. Die Leistungsziele wurden erreicht, teilweise sogar übertroffen, und der Plattform wird ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis attestiert. Bei den Wirkungszielen ist die Bilanz gemischt, was aber in erster Linie mit den hoch gesteckten Zielen und den im Verhältnis geringen Ressourcen zu tun hat. Der Gesamteindruck ist aus Sicht des Evaluationsteams eindeutig positiv. Angesichts der begrenzten Mittel wurde viel erreicht.

Literaturverzeichnis

Bundesrat (2024). Ergebnisse und Evaluation der Nationalen Plattform zur Prävention und Bekämpfung von Armut 2019–2024, 19. Juni

Dubach, Philipp (2024). Plattform gegen Armut: Partnerschaften intensivieren. Soziale Sicherheit CHSS. 19. Juni.

Stern, Susanne; Rüegge, Bettina; Wick, Alina; Thomas, Ralph (2024). Evaluation Nationale Plattform gegen Armut (NAPA). Im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 01/24.

Projektleiterin, Infras
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