Plattform gegen Armut: Partnerschaften intensivieren

Wie geht es weiter mit der Nationalen Plattform gegen Armut, die noch bis Ende 2024 läuft? Die Steuergruppe der Plattform hat dem Bundesrat einen Vorschlag vorgelegt.
Philipp Dubach
  |  19. Juni 2024
    Perspektiven
  • Armut
Podiumsgespräch an einer Tagung der Plattform gegen Armut im Sommer 2022 unter der Leitung von Thomas Graf (2.v.r.). (Bild: BSV)

Auf einen Blick

  • Die Steuergruppe der Plattform gegen Armut hat einen Vorschlag für eine nationale Struktur zur Koordination und Entwicklung der Armutspolitik formuliert.
  • Der Bundesrat hat das Eidgenössische Departement des Innern beauftragt, diesen Vorschlag zu vertiefen und bis Ende Jahr ein Konzept zu erarbeiten.
  • Der Bundesrat legt Wert darauf, die Partnerschaften mit anderen Akteuren der Armutspolitik zu intensivieren.

Seit 2014 engagiert sich der Bund gemeinsam mit den Kantonen, Gemeinden und Organisationen der Zivilgesellschaft in der Prävention und Bekämpfung von Armut. Der Bund will die bestehenden Massnahmen verbessern, indem er praxisnahes Wissen bereitstellt und die Vernetzung unter den Akteuren unterschiedlicher Staatsebenen und Politikfelder fördert. Bis 2018 geschah dies im Rahmen des Nationalen Programms, danach in der Nationalen Plattform gegen Armut.

Die Plattform, deren Laufzeit Ende 2024 endet, setzt den Fokus auf die Bildungschancen von sozial benachteiligten Menschen, die Vermeidung von Familienarmut und die Mitwirkung von Betroffenen in der Armutspolitik. Was passiert danach?

Nationale Armutskonferenz

Zum Abschluss der aktuellen Laufzeit der Plattform gegen Armut findet am 22. August 2024 in Bern eine Nationale Armutskonferenz statt. Dort werden zum einen die Ergebnisse der Plattform präsentiert und in Workshops vertieft. Zum anderen wird der zukünftige Handlungsbedarf aus der Perspektive unterschiedlicher Akteure diskutiert. Die Konferenz richtet sich an Verantwortliche aus den verschiedenen Bereichen der Armutsprävention und -bekämpfung sowie an Menschen mit Armutserfahrung.

Hohe Qualität, aber begrenzte Reichweite

Der Bundesrat hat sich für ein zweistufiges Vorgehen entschieden. In einer ersten Etappe hat er im Juni 2024 die externe Evaluation der Plattform zur Kenntnis genommen (Stern et al. 2024) und den Schlussbericht zu den vergangenen fünf Jahren veröffentlicht (Bundesrat 2024). Voraussichtlich Ende Jahr entscheidet er über das weitere Vorgehen.

Die externe Evaluation bescheinigt den Produkten der Plattform eine hohe Qualität. Ihre Tätigkeiten stossen bei den Zielgruppen auf breite Zustimmung, die Produkte werden als praxisrelevant und einfach verständlich beurteilt. Auch ihre Austausch- und Vernetzungsfunktion nimmt sie erfolgreich wahr.

Trotzdem gelingt es der Plattform nur bedingt, die beabsichtigten Impulse in der Armutspolitik auszulösen. Ihre Reichweite ist hierfür zu begrenzt, es mangelt an Anreizen zur Umsetzung von Empfehlungen. Die Evaluation ortet diesbezüglich eine Lücke zwischen den ambitionierten Zielen der Plattform und den verfügbaren Ressourcen, die um einiges geringer sind als im Vorgängerprogramm (durchschnittlich 0,5 Millionen Franken pro Jahr gegenüber 1,8 Millionen Franken pro Jahr).

Vorschlag der Plattform-Steuergruppe

Gemäss aktuellen Zahlen sind in der Schweiz rund 700 000 Personen von Armut betroffen – das sind 8,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung.

Um die in der Evaluation identifizierten Herausforderungen zu bewältigen, hat die Steuergruppe der Plattform einen Vorschlag formuliert. In der Steuergruppe wirken Vertreterinnen und Vertreter aller drei Staatsebenen und von gemeinnützigen Organisationen mit. Die Steuergruppe empfiehlt, die bestehenden armutspolitischen Aktivitäten auf nationaler Ebene in einer Gesamtstruktur zusammenzuführen und damit ihre Wirksamkeit zu stärken. Diese Struktur umfasst vier Elemente, die sich gegenseitig beeinflussen und ergänzen:

  • Nationales Armutsmonitoring: Bereits Anfang 2021 hat der Bundesrat ein nationales Armutsmonitoring eingeführt, das alle fünf Jahre einen Bericht veröffentlichen wird. Es beobachtet die Armutsentwicklung anhand statistischer Indikatoren und stellt gesichertes Wissen über die Wirkung armutspolitischer Massnahmen zusammen. Das Monitoring hat das Gesamtsystem der Armutsprävention und -bekämpfung im Blick.
  • Ständige nationale Plattform: Die Plattform ist im Gegensatz zum Monitoring auf die konkrete Praxis gerichtet. Sie trägt mit Vernetzung, Austausch und anwendungsorientiertem Know-how dazu bei, die Wirksamkeit armutspolitischer Massnahmen zu verbessern. Dabei konzentriert sie sich auf ausgewählte Schwerpunktthemen. Im Unterschied zu heute soll die Plattform verstetigt werden, damit sie möglichst rasch auf neue armutspolitische Herausforderungen reagieren kann.
  • Arbeitsprogramme: Im Rahmen der Plattform sollen neu zeitlich befristete Arbeitsprogramme entwickelt und umgesetzt werden. Sie formulieren Entwicklungsziele, auf die sich die Plattformpartner – insbesondere die Kantone – verpflichten. Damit soll die Impulswirkung der Plattform erhöht werden.
  • Beteiligungsstruktur für armutserfahrene Menschen: Der Einbezug von Betroffenen ist ein zentrales Anliegen der Plattform, blieb aber bisher auf einzelne Projekte beschränkt. Mit der Einführung einer nationalen Beteiligungsstruktur («Rat für Armutsfragen») soll die Partizipation auf eine dauerhafte Basis gestellt werden. Ein Modell für einen solchen Rat ist während der aktuellen Laufzeit der Plattform erarbeitet worden (Chiapparini et al. 2024).

Die Vorschläge der Steuergruppe müssen weiter vertieft werden. Der Bundesrat hat deshalb das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) beauftragt, bis Ende 2024 ein Konzept zur Umsetzung der vorgeschlagenen Struktur vorzulegen. Dieses soll auch eine Beteiligungsstruktur für armutserfahrene Menschen («Rat für Armutsfragen») umfassen.

Die Federführung liegt beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV). Nach Vorliegen des Konzepts wird der Bundesrat über das weitere Vorgehen entscheiden.

Finanzierung breiter abstützen

Bereits jetzt ist aus Sicht des Bundesrats klar: Die Partnerschaft mit Kantonen, Gemeinden und Organisationen der Zivilgesellschaft gilt es zu intensivieren, und die Plattform muss finanziell breiter abgestützt werden. Denn um die oben beschriebene Struktur zu betreiben und die in der Evaluation festgestellten Defizite zu beheben, wären im Vergleich zu heute zusätzliche Personal- und Sachmittel erforderlich.

Zurzeit trägt ausschliesslich der Bund die direkten Kosten für die Projektleitung und die Sachkosten der Plattform. Im Auftrag des Bundesrats klärt das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) deshalb ab, in welchem Umfang bestehende und potenzielle Partner bereit sind, sich gemeinsam mit dem Bund in diesen armutspolitischen Vorhaben zu engagieren und sie mit finanziellen Beiträgen zu unterstützen.

Literaturverzeichnis

Bundesrat (2024). Ergebnisse und Evaluation der Nationalen Plattform zur Prävention und Bekämpfung von Armut 2019–2024, 19. Juni.

Chiapparini, Emanuela; Guerry, Sophie; Reynaud, Caroline (2024). Wie können armutserfahrene Personen mit ihrer Erfahrungsexpertise dauerhaft in die Schweizer Armutspolitik einbezogen werden und mitwirken? Grundlagen und Konzept einer ständigen Beteiligungsstruktur, die forschungsbasiert gemeinsam mit armutserfahrenen Personen entwickelt wurde. Studie im Auftrag der Plattform gegen Armut (BSV).

Stern, Susanne; Rüegge, Bettina; Wick, Alina; Thomas, Ralph (2024). Evaluation Nationale Plattform gegen Armut (NAPA). Im Auftrag des BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 01/24.

Sozialwissenschaftler, Geschäftsfeld Alter, Generationen und Gesellschaft, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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