Schweizer Arbeitsmarkt trotzte der Pandemie

Der Schweizer Arbeitsmarkt hat sich in der Corona-Pandemie als sehr robust erwiesen. Massnahmen der Arbeitslosenversicherung, insbesondere die Kurzarbeit, haben entscheidend dazu beigetragen.
Thomas Möhr, Conny Wunsch
  |  20. April 2023
    Forschung und Statistik
  • Arbeitslosenversicherung
Kurzarbeitsentschädigungen verhinderten nach der ersten Pandemiephase Entlassungen. Genf im November 2020. (Alamy)

Die Corona-Pandemie führte zur Schliessung von Geschäften, Betrieben sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen, zu einem Einbruch der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, zu Unterbrechungen globaler Lieferketten sowie zu erheblichen Einschränkungen der nationalen und internationalen Mobilität. Im Auftrag des Bundes wurden die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Arbeitsmarkt und die Rolle der Arbeitslosenversicherung (ALV) untersucht (Felder et al. 2023).

Die Studie verwendet aggregierte Daten des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), Individualdaten der Arbeitsvermittlung, Individualdaten der Arbeitslosenversicherung und Betriebsdaten zu Kurzarbeitsentschädigungen, Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung sowie der Beschäftigungsstatistik. Es werden Daten bis einschliesslich 1. Quartal 2022 einbezogen.

 

Rasche Erholung

Im Gegensatz zur Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 hatte die Corona-Pandemie sehr rasch umfangreiche Auswirkungen auf den zu diesem Zeitpunkt florierenden Schweizer Arbeitsmarkt. Das Stellenangebot brach sofort ein, und die Zahl der registrierten Arbeitslosen stieg in den ersten beiden Monaten um mehr als 50 Prozent auf 160’000 Personen. Die Arbeitslosenquote stieg von 2,6 Prozent im Februar 2020 auf 3,4 Prozent im Mai 2020. Nach Aufhebung der strengen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie Anfang Juni 2020 stabilisierte sich die Lage jedoch schnell. Sie verschlechterte sich auch im darauffolgenden Winter nicht, obwohl die Massnahmen erneut verschärft wurden. Seit Anfang 2021 übersteigt das Stellenangebot das Vorkrisenniveau. Auch die Arbeitslosigkeit liegt seit Anfang 2022 darunter.

Arbeitslos wurden wie auch in anderen Krisen vor allem jüngere und schlechter ausgebildete Personen. Diese fanden aber schnell wieder Arbeit, als sich der Arbeitsmarkt erholte. Regional gesehen wurde die Deutschschweiz aufgrund unterschiedlicher Branchenstruktur stärker getroffen, und sie erholte sich langsamer als die Westschweiz und das Tessin. Bezüglich Geschlecht und Familiensituation zeigen sich keine systematischen Unterschiede hinsichtlich Erwerbsbeteiligung, geleisteter Wochenarbeitszeit und Erwerbslosigkeit.

 

Rekrutierungsprobleme in Gastronomie

Bei den Branchen waren der Einbruch der offenen Stellen und der Anstieg der Arbeitslosigkeit in Tourismus und Gastronomie mit Abstand am grössten, gefolgt vom verarbeitenden Gewerbe und der Logistik. Gastronomie und Tourismus haben sich rasch erholt und standen bereits im März 2022 besser da als im März 2019. Zudem verzeichnete die Gastronomie Anfang 2022 nicht nur wesentlich mehr offene Stellen, sondern auch mehr Rekrutierungsschwierigkeiten. Im verarbeitenden Gewerbe und in der Logistik lag die Arbeitslosigkeit Anfang 2022 noch über dem Vorkrisenniveau, zwischenzeitlich ist sie ebenfalls darunter gesunken.

Während der Corona-Pandemie wechselten insgesamt weniger Arbeitnehmende den Beruf oder die Branche als zuvor. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Krisenzeiten mit einer höheren (wahrgenommenen) Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt und geringeren Wechselmöglichkeiten einhergehen. Auch die Kurzarbeit dürfte Wechsel verhindert haben. Bei den Stellensuchenden haben sich die Abgänge aus bestimmten Branchen und Berufen prozentual meist nur wenig geändert. Da jedoch die Anzahl der Stellensuchenden in der Pandemie erheblich angestiegen ist, kam es in absoluten Zahlen zu nennenswerten Verschiebungen: Viele Stellensuchende, die vorher im Gastgewerbe, in der Hotellerie oder im Tourismus arbeiteten, suchten eine Stelle in einer anderen Branche. Zudem liessen sich aufgrund der geringeren Wechselbereitschaft von Beschäftigten über alle Branchen hinweg weniger Arbeitskräfte aus dem Pool der Beschäftigten rekrutieren. In Kombination mit der deutlich gestiegenen Arbeitsnachfrage ist dies eine mögliche Erklärung für die aktuellen Rekrutierungsschwierigkeiten in diesen Branchen.

 

Weniger Aussteuerungen, mehr Taggelder

Personen, die am 1. März 2020 als arbeitslos registriert waren und einen Taggeldanspruch hatten, konnten zwischen März und August 2020 maximal 120 zusätzliche Taggelder beziehen. Ebenso erhielten Personen, die am 1. März 2021 als arbeitslos registriert waren und einen Taggeldanspruch hatten, zwischen März und Mai 2021 maximal 66 zusätzliche Taggelder. Die Massnahmen hatten das Ziel, Aussteuerungen zu verhindern. Um sich der Wirkung des erweiterten Taggeldbezugs zu nähern, wurde eine Blinder-Oaxaca-Zerlegung der Veränderung verschiedener Arbeitsmarktgrössen zwischen Pandemie- und Vorpandemieperioden durchgeführt. Dabei wurden Veränderungen in der Zusammensetzung der Stellensuchenden, bei den offenen Stellen, bei den Arbeitsbemühungen und den Angeboten und Aktivitäten der RAV einbezogen. Wurden tatsächlich alle relevanten Faktoren berücksichtigt, lässt sich der verbleibende nicht erklärte Unterschied als Folge des erweiterten Taggeldbezugs interpretieren.

Die Analysen zeigen, dass durch den erweiterten Taggeldbezug Aussteuerungen in erheblichem Umfang verhindert wurden. Nach der Ausweitung im März 2020 fanden jedoch etwas weniger Personen eine Stelle, und die Suchdauern stiegen leicht an. Für die Ausweitung im März 2021 zeigen sich keine solchen negativen Auswirkungen. Insgesamt kann geschlussfolgert werden, dass das Ziel des erweiterten Taggeldbezugs, Aussteuerungen zu reduzieren, erreicht wurde und das Ausmass unerwünschter Nebeneffekte allenfalls moderat und auf die erste Pandemiephase beschränkt war.

 

Reger Einsatz von Kurzarbeit

Nebst den zusätzlichen Taggeldern wurden auch Kurzarbeitsentschädigungen umfangreich eingesetzt. Auf dem Höchststand im April 2020 waren fast ein Viertel der Betriebe und fast ein Drittel der Erwerbstätigen in der Schweiz betroffen. Mit Abstand am stärksten wurden die Entschädigungen in der Gastronomie und im Tourismus genutzt. Dort waren in der ersten Pandemiephase monatlich durchschnittlich 60 Prozent resp. 50 Prozent der Betriebe betroffen.

Entlassungen direkt zu Beginn der Pandemie konnten aber nicht in allen Fällen verhindert werden. Möglicherweise, weil Kurzarbeit in den am stärksten betroffenen Branchen in früheren Krisen kaum eingesetzt wurde und die Erfahrung damit fehlte. Zudem liefen im Frühjahr 2020 vor allem in Gastronomie und Tourismus viele auf die Wintersaison befristete Arbeitsverträge aus, für die es keine Kurzarbeitsentschädigung gab. Hinzu kommt, dass die Zahlungen an die Betriebe zeitverzögert erfolgten.

Vor allem im Gast- und im verarbeitenden Gewerbe kam es nach der ersten Pandemiephase zu Entlassungen nach Ende des Bezugs von Kurzarbeitsentschädigungen. Im Gegenzug wurden dort jedoch im Winter 2020/21 weniger Personen entlassen als bei Betrieben ohne Bezug. Für die zweite Pandemiephase Juli 2020 bis März 2021 gibt es keine Evidenz für mehr Entlassungen, jedoch Anzeichen für eine schnellere Erholung der Betriebe mit Bezug von Kurzarbeitsentschädigungen, die Ende 2021 mehr offene Stellen aufwiesen als Betriebe ohne Bezug. Dies vor allem im verarbeitenden Gewerbe und in der Deutschschweiz. Kurzarbeitsentschädigungen haben somit entscheidend dazu beigetragen, einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern.

Literaturverzeichnis

Felder, Rahel; Kaiser, Boris; Möhr, Thomas; Wunsch, Conny (2023). Auswirkungen der Coronapandemie auf den Arbeitsmarkt und Rolle der Arbeitslosenversicherung. Studie im Auftrag des SECO. Grundlagen für die Wirtschaftspolitik Nr. 38, April.

→ Dieser Beitrag ist am 18. April in Die Volkswirtschaft erschienen.

Ökonom, BSS Volkswirtschaftliche Beratung
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Professorin für Arbeitsmarktökonomie, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät (WWZ), Universität Basel
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