Sozialversicherungen: Mehrere Anpassungen im 2017

2017 treten in den Sozialversicherungen mehrere neue Bestimmungen in Kraft. 
Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Änderungen und die wichtigsten laufenden ­Projekte. Er stützt sich auf die Mitte November 2016 verfügbaren Informationen.
Mélanie Sauvain
  |  09. Dezember 2016
    Recht und Politik
  • Alters- & Hinterlassenenversicherung
  • Berufliche Vorsorge
  • Ergänzungsleistungen
  • Erwerbsersatzordnung
  • Gleichstellung
  • Invalidenversicherung
  • Krankenversicherung
  • Sozialpolitik allgemein
  • Unfallversicherung

Inkraftsetzung 2017

1. Säule

  • Unveränderte AHV/IV-Renten 2017 werden die AHV- und IV-Renten auf dem gleichen Stand wie 2016 bleiben, d. h. die minimale Rente beträgt weiterhin 1175 Franken im Monat, die maximale Rente 2350 Franken (bei vollständiger Beitragsdauer). Die Leistungen und Beiträge, deren Berechnung sich auf die minimale AHV-Rente stützt, bleiben ebenfalls unverändert. Dabei handelt es sich insbesondere um die Grenzbeträge in der obligatorischen beruflichen Vorsorge und die in den EL berücksichtigten Beträge zur Deckung des allgemeinen Lebensbedarfs.
    Der Bundesrat prüft in der Regel alle zwei Jahre, ob eine Anpassung der Renten der 1. Säule angezeigt ist. Der Entscheid basiert auf dem arithmetischen Mittel aus dem Preis- und dem Lohnindex (Mischindex) und stützt sich auf die Empfehlung der Eidgenössischen AHV/IV-Kommission ab. Aufgrund der negativen Entwicklung des Landesindexes der Konsumentenpreise und der schwachen Lohnentwicklung ergibt sich 2017 keine Erhöhung. Die AHV/IV-Renten wurden letztmals auf den 1. Januar 2015 erhöht.Die Hinterlassenen- und Invalidenrenten in der obligatorischen beruflichen Vorsorge, die vor 2013 entstanden sind, sollen 2017 ebenfalls nicht angepasst werden.

AHV

  • Administrative Vereinfachungen Ab dem 1. Januar 2017 soll eine Reihe administrativer Verfahren in der AHV für Arbeitgeber und Durchführungsstellen erleichtert werden. Beispielsweise müssen die Ausgleichskassen nicht mehr systematisch einen Versicherungsausweis zustellen, da die darin enthaltenen Informationen bereits auf der Versichertenkarte der Krankenkasse angegeben sind. Mit dieser Massnahme kann die Zahl der auszustellenden Ausweise und damit der administrative Aufwand der Ausgleichskassen massiv verringert werden. Bei Bedarf können die Versicherten nach wie vor einen Ausweis bestellen.
    Die Verfahren für Personen, die im Ausland arbeiten, aber im schweizerischen Versicherungssystem versichert bleiben möchten, werden ebenfalls vereinfacht. Dafür reicht es aus, wenn der Arbeitgeber in der Schweiz die im Ausland beschäftigte Person auf elektronischem Weg bei der zuständigen Stelle anmeldet. Die Arbeitnehmenden hingegen sind nicht mehr zu einer Meldung verpflichtet.

Berufliche Vorsorge

  • Mindestzinssatz Der Mindestzinssatz in der obligatorischen beruflichen Vorsorge soll im Jahr 2017 von 1,25 % auf 1 % gesenkt werden. Mit seiner Entscheidung für eine erneute Senkung ist der Bundesrat den Empfehlungen der Eidgenössischen BVG-Kommission gefolgt. Als Grund nennt der Bundesrat die tiefen Zinsen und die ungenügende Performance an den Aktienmärkten.
    Der Mindestzinssatz betrifft nur die Guthaben der obligatorischen 2. Säule. Ansonsten steht es den Vorsorgeeinrichtungen frei, eine andere Verzinsung festzulegen. Der Satz von 1 % ist der tiefste Wert in der Geschichte der beruflichen Vorsorge.
  • Vorsorgeausgleich bei Scheidung Bei einer Scheidung oder bei der Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft wird das Guthaben aus der beruflichen Vorsorge gerechter aufgeteilt. Die neuen Bestimmungen treten per 1. Januar 2017 in Kraft. Grundsätzlich gilt immer noch, dass die während der Ehe erworbene Austrittsleistung hälftig unter den Eheleuten oder den Partnern/Partnerinnen geteilt wird. Dieser Grundsatz dient insbesondere dem Schutz der Person, meistens der Frau, die die Hausarbeiten übernommen hat und dabei ihre Karriere zurückgesteckt und entsprechend wenig in die 2. Säule einbezahlt hat.
    Ab Januar gilt für die Berechnung des Ausgleichs neu die Einleitung und nicht mehr das Ende des Scheidungsverfahrens. Ausserdem werden die Guthaben selbst dann geteilt, wenn der verpflichtete Ehegatte bereits eine AHV- oder IV-Rente bezieht. Je nach den Umständen beruht die Berechnung dann auf einer hypothetischen Austrittsleistung oder es wird die vorhandene Rente geteilt und in eine lebenslange Rente für den berechtigten Gatten umgerechnet.
    Die Vorsorge- und Freizügigkeitseinrichtungen müssen der Zentralstelle 2. Säule künftig periodisch alle Inhaber von Vorsorgeguthaben melden. Ziel ist es, den Scheidungsgerichten die Aufgabe zu erleichtern, die beim Vorsorgeausgleich alle Vorsorgeguthaben berücksichtigen müssen. Mit weiteren Bestimmungen soll verhindert werden, dass während der Ehe Vorsorgeguthaben ohne das Wissen des Ehegatten ausgezahlt werden.
    Das Umrechnungstool ist ab dem 1. Januar 2017 auf der Seite des BSV verfügbar (www.bsv.admin.ch).
  • Anlagestrategie Die Änderung des Freizügigkeitsgesetzes, die den ausschliesslich im Überobligatorium tätigen Vorsorgeeinrichtungen ermöglichen soll, flexiblere Vorsorgelösungen anzubieten, dürfte voraussichtlich im Laufe des Jahres 2017 in Kraft treten. Damit sollen bei diesen Einrichtungen versicherte Personen mit einem Jahreslohn über 126 900 Franken die Anlagestrategie für den überobligatorischen Teil ihres Vorsorgekapitals selber wählen können. In diesem Fall tragen sie die mit ihrer Wahl verbundenen Risiken selber. Die Vorsorgeeinrichtungen sollen keine minimale Austrittsleistung mehr garantieren. Sie sind jedoch verpflichtet, mindestens eine Strategie mit risikoarmen Anlagen anzubieten und die Versicherten über die Risiken und Kosten ihrer Wahl zu informieren. Bei Verlust müssen sie der versicherten Person, die die Einrichtung verlässt, den effektiven Wert des Vorsorgeguthabens auszahlen.

Krankenversicherung

  • Prämienanstieg um durchschnittlich 4,5 Prozent 2017 steigt die Standardprämie der obligatorischen Krankenpflegeversicherung um durchschnittlich 4,5 Prozent. Die Erhöhung variiert dabei je nach Kanton zwischen 3,5 und 7,3 Prozent. Die Prämien für Kinder (+6,6 %) und für junge Erwachsene (+5,4 %) steigen am stärksten.
    Die durchschnittliche Erhöhung von 4,5 Prozent gilt für die sogenannte Standardprämie – die Grundversicherung einer erwachsenen Person mit 300 Franken Franchise und Unfalldeckung. Sie betrug im Durchschnitt der letzten zehn Jahre 3,6 Prozent, seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes im Jahr 1996 4,6 Prozent.
  • Erhöhung des Zuschlags auf der Krankenkassenprämie Im Jahr 2017 soll jede versicherte Person 1.20 Franken mehr Versicherungsprämie bezahlen, um die Prävention gewisser Krankheiten zu unterstützen. Der Bundesrat hat beschlossen, den Prämienzuschlag, der heute bei 2.40 Franken pro versicherter Person und Jahr liegt, in zwei Schritten zu erhöhen. Er wird auf 3.60 Franken im Jahr 2017 und 4.80 Franken im Jahr 2018 steigen. Mit diesem Geld wird die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz mitfinanziert. Die zusätzlichen Mittel sollen 2017 für kantonale ­Ak­­tionsprogramme zur Prävention und Früherkennung psychischer Erkrankungen eingesetzt werden. 2018 werden mit der Erhöhung des Zuschlags Massnahmen zur Förderung der Gesundheit im Alter (Sturzprävention, Verhinderung von Mangelernährung usw.) verstärkt und Präventionsprojekte zu nichtübertragbaren Krankheiten unterstützt.
    Der Prämienzuschlag wurde seit 1998 nicht angepasst.
  • Risikoausgleich Der Risikoausgleich wird derzeit verfeinert. Ab dem 1. Januar 2017 und bis Ende 2019 werden Arzneimittelkosten von über 5000 Franken bei der Berechnung des Risikoausgleichs berücksichtigt, neben den drei bestehenden Kriterien Alter, Geschlecht und Spital- oder Pflegeheimaufenthalt von mindestens drei aufeinanderfolgenden Nächten im Vorjahr.
    Dieser Einbezug ist eine Übergangslösung, bis der neue Indikator – die pharmazeutischen Kostengruppen (PCG) im ambulanten Bereich – in die Berechnung integriert wird. Eine PCG ist eine Gruppe von Wirkstoffen und Arzneimitteln, die zur Behandlung bestimmter Krankheiten eingesetzt werden. Der Indikator soll in die neue Verordnung über die Krankenversicherung eingeführt werden, die ab 2020 gilt. Die Verwendung dieses zusätzlichen Indikators ermöglicht es, ambulant behandelte Versicherte, die hohe Kosten verursachen, aufgrund ihres Arzneimittelbedarfs zu ermitteln und so die Versicherer differenzierter zu entlasten.
    Die Verfeinerung des Risikoausgleichs gehört zu den Zielen der Strategie Gesundheit2020 des Bundesrats.
  • Präimplantationsdiagnostik Das neue Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung, das die Präimplantationsdiagnostik (PDI) einführt, soll im Herbst 2017 in Kraft treten. Das Volk hat der Revision im Juni 2016 zugestimmt. Die entsprechenden Verordnungen wurden dahingehend angepasst, dass reproduktionsmedizinische und genetische Laboratorien stärker kontrolliert werden. Bevor sie in Kraft treten, müssen sie noch vom Bundesrat gutgeheissen werden.
    Bei der PDI werden die Embryonen aus einer künstlichen Befruchtung genetisch analysiert, bevor sie in die Gebärmutter der Frau eingesetzt werden. Sie soll nur bei Paaren erlaubt sein, die Träger einer schweren Erbkrankheit sind, um deren Übertragung zu verhindern. Pro Behandlung können höchstens zwölf Embryonen entwickelt werden. Für alle anderen Anwendungen als die vom Gesetz vorgesehenen bleibt die PDI verboten, beispielsweise zur Bestimmung des Geschlechts oder von Körpermerkmalen (z.B. Augenfarbe).

Obligatorische Unfallversicherung Ab dem 1. Januar 2017 soll die Unfallversicherung eine vollständigere Deckung bieten und beim Altersrücktritt manchmal auftretende Fälle einer Überentschädigung verhindern. Das im September 2015 verabschiedete neue Gesetz über die Unfallversicherung schliesst Leistungslücken, indem es den tatsächlichen Zeitpunkt von Versicherungsbeginn und -ende klar festlegt. Fällt der erste offizielle Arbeitstag nicht auf einen Werktag, ist die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer künftig auch versichert. Das Gleiche gilt für den letzten Arbeitstag.

Ausserdem sind besondere Bestimmungen für Versicherte vorgesehen, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit an einer schweren Krankheit leiden (z.B. Asbestbelastung). Die UVG-Revision führt auch einen Grenzwert für Katastrophenfälle ein. Die Versicherer sind verpflichtet, einen Ausgleichsfonds zur gemeinsamen Finanzierung von Leistungen einzurichten, die diesen Betrag übersteigen. Für grosse Schadensereignisse wird somit ab einem bestimmten Grenzbetrag die Haftung der Versicherer über diesen Fonds abgwickelt.

Wichtigste laufende Projekte 2017

Altersvorsorge 2020 Die Reform Altersvorsorge 2020 befindet sich nun in der Differenzbereinigung. Wenn die Eidgenössischen Räte weiterhin an einer Inkraftsetzung Anfang 2018 festhalten wollen, muss das Projekt unbedingt in der Märzsession 2017 finalisiert werden. Das BSV stellt auf seiner Internetseite Informationen zum Stand des Projekts zur Verfügung: www.bsv.admin.ch > Altersvorsorge 2020 > Reform

Weiterentwicklung der IV Der Bundesrat will dem Parlament Anfang 2017 seine Botschaft zum Projekt Weiterentwicklung der IV vorlegen. Die Revision sieht eine Reihe von Massnahmen für drei Zielgruppen vor: Kinder, Jugendliche und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Der Schwerpunkt liegt insbesondere auf der beruflichen Ausbildung und Eingliederungsmassnahmen. Mit dem Projekt sollen ausserdem die Koordination zwischen den Akteuren (IV-Stellen, Ärzteschaft, Arbeitgeber usw.) und das System der Rentenberechnung in der IV verbessert werden.

Ergänzungsleistungen (EL) Das Parlament wird sich im Jahr 2017 mit der Reform der Ergänzungsleistungen befassen. Ausgangspunkt ist die starke Zunahme der EL-Kosten. Die Reform zielt darauf ab, das Niveau der Leistungen zu erhalten, um eine automatische Verlagerung zur Sozialhilfe zu vermeiden sowie Schwelleneffekte und Fehlanreize zum Verbleib im EL-System zu verringern. Die Verwendung von Eigenmitteln für die Altersvorsorge soll verbessert werden, um das Risiko einer EL-Abhängigkeit im Alter zu minimieren. Zu diesem Zweck soll der Kapitalbezug aus der obligatorischen beruflichen Vorsorge eingeschränkt werden.

Gleichzeitig werden auch die neuen Bestimmungen zur Anpassung der maximalen Mietzinse, die bei der EL-Berechnung berücksichtigt werden, behandelt.

Langzeitpflege Im Mai 2016 hat der Bundesrat den Bericht «Bestandesaufnahme und Perspektiven im Bereich der Langzeitpflege» verabschiedet. Der Bericht skizziert die Massnahmen, die von Bund und Kantonen umzusetzen sind, um der Herausforderung der Langzeitpflege und insbesondere deren Finanzierung zu begegnen. Das Massnahmenpaket betrifft folgende Bereiche: Prävention, Entlastung von pflegenden Angehörigen, Pflege, Qualität und Effizienz der Leistungen sowie Monitoring. Die Förderung zeitgemässer Versorgungsangebote ist eines der prioritären Ziele der Strategie Gesundheit2020.

Vaterschaftsurlaub Im Mai 2016 wurde eine Volks­initiative zur Einführung eines vierwöchigen Vaterschaftsurlaubs in der Schweiz lanciert. Die entsprechende neue Versicherung würde dem Modell des Mutterschaftsurlaubs entsprechen und über die Erwerbsersatzordnung geregelt. Die Initiantinnen und Initianten haben bis am 24. November 2017 Zeit, die für eine Volksabstimmung notwendigen 100 000 Unterschriften zu sammeln.

Projektleiterin,
Öffentlichkeitsarbeit, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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