Verändertes Anlagerisiko der Vorsorgeeinrichtungen

Vorsorgeeinrichtungen haben ihr Vermögen in den vergangenen zehn Jahren vermehrt in renditeorientierte Anlageklassen umgeschichtet. Dadurch verändert sich das Anlagerisiko.
Stephan Meschenmoser
  |  07. November 2023
    Recht und Politik
  • Berufliche Vorsorge
Der Aktienanteil in den Portfolios der Vorsorgeeinrichtungen hat zugenommen. Sitz des Pharmakonzerns Roche in Basel. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Aufgrund der bis vor Kurzem tiefen Zinsen ist der Obligationenanteil am Anlagevermögen der Vorsorgeeinrichtungen in den letzten zehn Jahren gesunken.
  • Das tendenziell höhere Anlagerisiko wurde unter anderem durch die tieferen Zinsversprechen teilweise kompensiert.
  • Der Deckungsgrad, der 2022 gesunken ist, dürfte 2023 wieder steigen.

Während der Tiefzinsphase der vergangenen Jahre waren Obligationen als Anlagen wenig attraktiv. So musste für zehnjährige Bundesobligationen über längere Zeit gar negative Zinsen bezahlt werden (siehe Grafik 1). Für Vorsorgeeinrichtungen brachte diese Anlageklasse damit oft nicht mehr genügend Ertrag, um die minimale Verzinsung gemäss Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) zu garantieren.

In dieser Situation boten sich den Vorsorgeeinrichtungen zwei Handlungsmöglichkeiten: Entweder sie reduzieren ihre Obligationenquote, oder sie versuchen, innerhalb der Kategorien höhere Renditen zu erwirtschaften, indem sie zum Beispiel vermehrt in höher rentierende alternative Anlageklassen – inklusive Infrastrukturanlagen oder Hypotheken – investieren.

Die meisten Vorsorgeeinrichtungen verfolgten beide Strategien, wie eine jährliche Befragung der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) zeigt. So fiel der Anteil an Obligationen in den Portfolios, während der Anteil an Immobilien, Aktien sowie alternativen Anlagen und Infrastruktur stieg (siehe Grafik 2).

Risikoeinschätzung ist zentral

Angesichts dieser Umschichtungen stellt sich die Frage: Wie hat sich das Anlagerisiko der Vorsorgeeinrichtungen verändert?

Klar ist: Eine Vorsorgeeinrichtung muss ihr Vermögen so anlegen, dass ihre Verpflichtungen bei Fälligkeit bezahlt werden können. Dies bedeutet einerseits: Wenn auf dem Vermögen nicht genügend Rendite erwirtschaftet wird, dann steigt das Risiko, zum Teil weit in der Zukunft liegende Verpflichtungen nicht bedienen zu können. Anlagen mit höherem Risiko, die langfristig mehr Rendite abwerfen, reduzieren deshalb das Risiko einer langfristigen Insolvenz.

Andererseits wird jährlich der Deckungsgrad – das Verhältnis zwischen dem Wert des Vermögens und den Verpflichtungen – der Vorsorgeeinrichtung berechnet. Unterschreitet der Deckungsgrad die kritische Schwelle von 100 Prozent, müssen schmerzhafte Sanierungsmassnahmen in Betracht gezogen werden. Entsprechend birgt ein höheres Risiko die Gefahr, am Jahresende zu stark in Unterdeckung zu geraten. Typischerweise ist der Wert renditeärmerer Anlagen (wie etwa Obligationen) stabiler als der von höher rentierenden Anlagen (wie beispielsweise Aktien). Insofern steigt dieses Risiko durch die fallende Obligationenquote.

Auch Obligationen bergen Risiken

Allerdings gilt zu beachten, dass sich die Risikomerkmale von Obligationen in den vergangenen Jahren verändert haben. Aufgrund der Reaktionen der Zentralbanken auf die diversen Krisen konnten beispielsweise Emittenten günstig längere Laufzeiten vereinbaren und sich stärker fremdfinanzieren, sodass sich das Risiko gebräuchlicher Obligationenindizes erhöht hat. Sprich: Obligationen werden zwar weiterhin als wertstabiler als Aktien wahrgenommen – der Unterschied hat sich aber etwas reduziert.

Kommt hinzu: Vorsorgeeinrichtungen investieren vermehrt in nicht börsenkotierte Wertschriften, deren Bewertungen auf Schätzwerten beruhen, die tendenziell stabiler sind als Marktwerte. Somit hat sich das in den Bilanzen wiedergegebene Risiko des Obligationenteils tendenziell erhöht und das des Nicht-Obligationenteils (zu dem Privatmarktinvestitionen gehören) tendenziell reduziert.

Alle Risikodimensionen beachten

Wird die finanzielle Lage der Vorsorgeeinrichtungen als Ganzes betrachtet, so gilt es neben der Anlagestrategie drei weitere Risikodimensionen zu beachten: den Deckungsgrad, die Sanierungsfähigkeit und das Zinsversprechen.

Ein hoher Deckungsgrad beziehungsweise eine hohe Wertschwankungsreserve kann als Puffer angesehen werden, der verhindert, dass kurzfristige Marktschwankungen zu einer (zu hohen) Unterdeckung führen. Mit anderen Worten: Je höher der Deckungsgrad, desto mehr risikobehaftete Anlagen können in das Portfolio aufgenommen werden. Im Jahr 2022 war der durchschnittliche Deckungsgrad der Vorsorgeeinrichtungen aufgrund einer schlechten Anlageperformance tiefer als im Jahr 2014. Trotzdem weisen die meisten Vorsorgeeinrichtungen weiterhin einen Deckungsgrad oberhalb der kritischen Schwelle von 100 Prozent auf.

Die Sanierungsfähigkeit wiederum hängt von der demografischen Struktur der Versicherten einer Vorsorgeeinrichtung ab. Setzt sich der Bestand vor allem aus aktiven Versicherten zusammen, genügen relativ bescheidene Sanierungsbeiträge oder Minderverzinsungen, um einen deutlichen Effekt auf den Deckungsgrad zu erzielen. Im Jahr 2022 blieb die Sanierungsfähigkeit von Vorsorgeeinrichtungen im Vergleich zu 2014 relativ stabil.

In Bezug auf das Zinsversprechen gilt schliesslich: Unabhängig vom Deckungsgrad muss jede registrierte Vorsorgeeinrichtung die Mindestleistung gemäss BVG erbringen. Mit den fallenden Zinsen reduzierten viele Vorsorgeeinrichtungen auch ihre – durch den Umwandlungssatz implizierten – Zinsversprechen. Entsprechend mussten Vorsorgeeinrichtungen dafür kein noch grösseres Anlagerisiko in Kauf nehmen.

Stetes Abwägen nötig

Werden alle Risikodimensionen zusammen betrachtet, so hat sich das Gesamtrisiko der Vorsorgeeinrichtungen aufgrund des tieferen durchschnittlichen Deckungsgrads im Jahr 2022 erhöht. Wenn jedoch die Anzeichen stimmen und das Börsenjahr 2023 gut ausfällt, steigt auch der Deckungsgrad der Vorsorgeeinrichtungen wieder.

Abschliessend lässt sich sagen: Vorsorgeeinrichtungen müssen bei ihrer Risikobeurteilung permanent zwischen den Risiken der kurzfristigen Unterdeckung und der Notwendigkeit langfristiger Solvenz abwägen. Dabei werden sie sich weiterhin dem sich ständig verändernden Marktumfeld anpassen müssen. So ist etwa zu erwarten, dass auch das Gewicht von Obligationen in den Portfolios der Pensionskassen aufgrund höherer Zinsen wieder zunimmt.

Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV)

Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) ist eine von Weisungen des Parlaments und des Bundesrates unabhängige Aufsichtsbehörde. Sie sorgt für eine einheitliche Aufsichtspraxis im System der beruflichen Vorsorge. Sie übt die Oberaufsicht über die acht regionalen Direktaufsichtsbehörden aus und ist diesen gegenüber weisungsbefugt. Die OAK BV ist Direktaufsichtsbehörde über die Anlagestiftungen, den Sicherheitsfonds und die Auffangeinrichtung. Zudem ist sie Zulassungsbehörde für die Experten für berufliche Vorsorge.

Seit 2012 veröffentlicht die OAK BV jährlich einen Bericht zur finanziellen Lage der Vorsorgeeinrichtungen.

Ökonom, Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge OAK BV
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