Nachhaltige Anlagen: Jede Pensionskasse entscheidet selbst

Die Debatte um nachhaltige Anlagen ist in den Pensionskassen angekommen. Zielführender als neue Regulierungen scheint aber das bewusste Handeln der Gremien jeder einzelnen Kasse.
Philipp Rohrbach
  |  07. November 2023
    Recht und Politik
  • Berufliche Vorsorge
Der Ruf nach Klimamassnahmen steigt – gefordert sind auch die Vorsorgeeinrichtungen. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Die Anlagebestimmungen der beruflichen Vorsorge behindern die Umsetzung von Nachhaltigkeitsstrategien nicht.
  • Immer mehr Pensionskassen bewirtschaften ihre Vorsorgevermögen nach Nachhaltigkeitskriterien.
  • Damit die Pensionskassen wirksame Nachhaltigkeitsstrategien umsetzen können, ist mehr Transparenz nötig.

Die geltenden Anlagevorschriften in der beruflichen Vorsorge stellen kein Hindernis für eine nachhaltige Vermögensbewirtschaftung durch die Pensionskassen dar: Dies hält der Bundesrat in einem Postulatsbericht vom August 2023 fest (Bundesrat 2023).

Aufgrund von zielgerichteten Anpassungen der Anlagebestimmungen können Pensionskassen mittlerweile direkt in zukunftsträchtige und damit langfristige, nachhaltige Projekte investieren. So sind seit Oktober 2020 Investitionen in Infrastrukturanlagen und ‑projekte möglich, und seit Anfang 2022 können Pensionskassen direkt in nichtkotierte, schweizerische Anlagen investieren.

Daher sieht der Bundesrat keinen unmittelbaren Handlungsbedarf in Bezug auf die Anlagevorschriften der zweiten Säule und hält daran fest, es grundsätzlich den obersten Organen der Pensionskassen zu überlassen, ob und in welcher Form und Tiefe sie ESG-Kriterien (ESG: Environment Social Governance) in ihre Anlagereglemente aufnehmen wollen.

Freiwilligkeit ist nicht Beliebigkeit

Die Schweizer Pensionskassenstudie (Swisscanto 2022) zeigt, dass immer mehr Pensionskassen die ESG-Kriterien in ihren Anlagereglementen verankern: Kannten im Jahr 2015 erst 8 Prozent solche Regelungen, waren es 2021 bereits 33 Prozent. Bei den öffentlich-rechtlichen Pensionskassen liegt der Anteil sogar bei 71 Prozent.

Dass der Entscheid darüber beim obersten Organ jeder Pensionskasse liegt, macht durchaus Sinn. Denn anders als Finanzinstitute sind Pensionskassen nicht gewinnorientiert und werden paritätisch geführt. Dass der gesellschaftliche Diskurs in die Anlageentscheidungen von Pensionskassen mit einfliesst, ist dadurch sichergestellt.

Vor diesem Hintergrund muss man die unterschiedlichen Positionierungen in Bezug auf die anlagetechnische Berücksichtigung von ESG-Kriterien denn auch nicht zwingend als Flickwerk oder fehlende Sensibilisierung für die Thematik sehen, sondern einfach als Ausdruck davon, dass es durchaus verschiedene Konsense in Bezug auf nachhaltiges Wirtschaften geben kann und darf.

Emotionale Debatte

Die gesellschaftliche Debatte um ESG – insbesondere in Bezug auf das E (Environment) – ist emotional aufgeladen. Es besteht deshalb eine gewisse Gefahr, dass die Wirkung von Regulierung in diesem Kontext überschätzt wird.

Angesichts dieser Debatte gilt es zu betonen: Der Klimawandel ist ein physikalischer Fakt und die staatlichen Klimaschutzmassnahmen sind ein politischer Fakt. In Bezug auf die Anlagestrategie und deren taktische Umsetzung kommen die Pensionskassen also ohnehin nicht an der Thematik vorbei, unabhängig davon, ob die Anlageverantwortlichen die staatlichen Klimaschutzmassnahmen nun als Dienst an den nachfolgenden Generationen oder schlicht als Konjunkturpaket betrachten. Anders ausgedrückt: Kaum eine Pensionskasse hätte vor hundert Jahren stur an einem Unternehmen festgehalten, das seinerseits hartnäckig an der Dampfmaschine hätte festhalten wollen.

Dass Freiwilligkeit nicht mit Beliebigkeit gleichzusetzen ist, zeigt sich auch an den Bestrebungen der Branche zur Selbstregulierung. So haben sich im Jahr 2015 beispielsweise mehrere grosse Pensionskassen im Schweizer Verein für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen zusammengeschlossen und entsprechende Empfehlungen publiziert. Ein Jahr später publizierte der Branchenverband Swiss Sustainable Finance, unterstützt durch den Schweizerischen Pensionskassenverband (ASIP) und den Schweizerischen Versicherungsverband (SVV), ein Handbuch für die Umsetzung einer nachhaltigen Anlagestrategie für Pensionskassen (SSF 2016). Und schliesslich veröffentlichte der ASIP im Jahr 2022 im Sinne eines Branchenstandards detaillierte ESG-Reporting-Standards für Pensionskassen (ASIP 2022).

Zielkonflikte vermeiden

Bereits heute sind Pensionskassen implizit dazu verpflichtet, Klimarisiken ihrer Anlagen zu berücksichtigen, wie eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) festhält (Eggen und Stengel 2019). Explizite Verpflichtungen zur Berücksichtigung von Klimawirkungen von Anlagen sind für Pensionskassen im geltenden Recht jedoch (noch) nicht vorgesehen.

Gemäss Gesetz und Verordnung hat die Vermögensbewirtschaftung zum Ziel, die Erfüllung der Leistungsversprechen der Pensionskassen sicherzustellen. Würde man die Erzielung von positiven Klimawirkungen ebenfalls zum Ziel erheben, ergäben sich automatisch Zielkonflikte. Eine regulatorische Erfassung von Klimawirkungen wäre in der beruflichen Vorsorge also grundsätzlich nur auf dem Niveau einer Umsetzungsnorm wirklich praktikabel.

Während grössere Pensionskassen eine ESG-Strategie weitgehend selbstständig operationalisieren können, sind kleinere Pensionskassen auf externe Dienstleister angewiesen. Die entsprechenden Kosten werden von den Versicherten, gerade in der obligatorischen Versicherung, aber nur dann akzeptiert, wenn sie auch tatsächlich mit positiven Klimawirkungen verbunden sind. Hier sind die Pensionskassen als Kunden des Finanzplatzes insbesondere auf eine stringente ESG-Finanzmarktregulierung angewiesen.

Um «Greenwashing» zu unterbinden, hat der Bundesrat bereits entsprechende Massnahmen eingeleitet (Bundesrat 2022). Denn der Worstcase für die Glaubwürdigkeit der zweiten Säule wären steigende Verwaltungskosten ohne einen wirklich messbaren, positiven Klimabeitrag.

Mehr Transparenz

Vom Ansatz her wenig pragmatisch ist die zum Teil enge Fokussierung der öffentlichen Debatte auf die Branchen- und Titelselektion im Wertschriftenbereich, zumal bei Sekundärmarkttransaktionen keine direkte Finanzierung stattfindet. Vor dem Hintergrund der Wohnungsknappheit und des Rohstoffbedarfs für die Energiewende macht es wenig Sinn, intensiv über die Portfoliogewichtung der Baustoff- und Rohstoffbranche zu streiten.

Verkauft man eine Aktie, hat das keinen Einfluss auf das Klima. Vielleicht sogar im Gegenteil, denn man gibt damit ein Stück Gestaltungsmacht ab, die man als Eigentümer hätte. Den mit Abstand grössten Hebel in Bezug auf ESG haben die Pensionskassen bei der Wahrnehmung ihrer Eigentumsrechte – sei es als Bauherrinnen, Immobilienbesitzerinnen oder eben Aktionärinnen.

Während die Bau- und Immobilienanlagen der Pensionskassen spezialgesetzlich geregelt werden können, ist der im Bereich der Unternehmensbeteiligungen notwendige, ständige Dialog mit Unternehmensleitungen, Stimmrechtsvertretern und Fondsleitungen im Recht über die berufliche Vorsorge kaum fassbar, ohne sich im regulatorischen Klein-Klein zu verlieren. Schon gar nicht in einer für Revisionsgesellschaften und Aufsichtsbehörden nachvollziehbaren Form.

Entscheidend, damit die Verantwortlichen ihre Verantwortung wahrnehmen können, ist die Transparenz. Hier dürfte in der Praxis denn auch das grösste Verbesserungspotenzial bestehen, sowohl in Bezug auf die Pensionskassen, wie auch in Bezug auf die Finanzinstitute und die Finanzprodukte. Scheinlösungen dienen weder dem Klima, noch der Glaubwürdigkeit der beruflichen Vorsorge.

Literaturverzeichnis

ASIP (2022). ESG-Reporting 2022. Medienmitteilung. 13. Dezember.

Bundesrat (2022). Bundesrat will Greenwashing im Finanzmarkt vorbeugen. Medienmitteilung. 16. Dezember.

Bundesrat (2023). Die Anlagebestimmungen der beruflichen Vorsorge sind kein Hindernis für eine nachhaltige Vermögensbewirtschaftung. Medienmitteilung. 30. August.

Eggen, Mirjam; Stengel, Cornelia (2019). Berücksichtigung von Klimarisiken und -wirkungen auf den Finanzmarkt. Studie im Auftrag des BAFU.

Medienmitteilung. 16. Dezember.

Swiss Sustainable Finance (2016). Handbuch Nachhaltige Anlagen.

Swisscanto (2022). Schweizer-Pensionskassenstudie 2022.

Wüest Partner (2022). PACTA Climate Test Switzerland 2022, Aiming Higher.

Ökonom, Finanzierung berufliche Vorsorge, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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