Auf einen Blick
- Die Familienzulagen sind ein wichtiges Instrument des schweizerischen Familienlastenausgleichs.
- Seit 2009 bestehen für die Familienzulagen in der Schweiz ein Rahmengesetz des Bundes, 26 kantonale Familienzulagengesetze sowie ein Spezialgesetz für die Landwirtschaft.
- Das heutige Familienzulagensystem weist erhebliche Lücken und Mängel auf, die sich mit einer grundlegenden Reform nachhaltig beheben liessen.
Familienzulagen sind ein zentrales Instrument der schweizerischen Familien- und Sozialpolitik. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat deshalb Anfang September 2024 einen Bericht zur Entstehungsgeschichte und zu den Reformmöglichkeiten des Systems der Familienzulagen publiziert (Stampfli 2024). Die Familienzulagen wurden in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auf freiwilliger Basis von den Arbeitgebenden eingeführt, in der zweiten Hälfte von den Kantonen verrechtlicht und schliesslich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einem Rahmengesetz bundesrechtlich geregelt.
Das Bundesgesetz über die Familienzulagen (FamZG) wurde 2009 in Kraft gesetzt und ist seither mehrmals revidiert worden. Weitere Rechtsgrundlagen im Familienzulagensystem sind das Bundesgesetz über die Familienzulagen in der Landwirtschaft (FLG) sowie die 26 kantonalen Familienzulagengesetze.
Die Familienzulagen bilden zusammen mit Massnahmen wie familienspezifischen Steuererleichterungen, Subventionen für die familienergänzende Kinderbetreuung, Stipendien oder der Alimentenbevorschussung den Familienlastenausgleich. Mit ihm anerkennt die Gesellschaft die Leistungen der Familien und schafft einen Ausgleich der Kosten, die diesen für Betreuung, Unterhalt und Ausbildung ihrer Kinder entstehen.
Die Entstehung des Familienzulagengesetzes – eine Zangengeburt
1945 stimmte das Volk einem Verfassungsartikel zu, der dem Bund eine umfassende Kompetenz für eine bundesrechtliche Regelung der Familienzulagen gab. Trotz zahlreicher parlamentarischer Vorstösse, mehrerer Standesinitiativen, Empfehlungen von Expertenkommissionen und im Ausland eingeführter Familienzulagen scheiterte die Schaffung einer Bundeslösung, weshalb alle 26 Kantone bis 1965 eigenständige Familienzulagengesetze erliessen. Auf Bundesebene kam einzig im Bereich der Landwirtschaft eine Bundesregelung zustande. 1991 reichte Nationalrätin Angéline Fankhauser (SP/BL) eine parlamentarische Initiative ein, mit welcher sie für jedes Kind eine bundesrechtlich geregelte Zulage von mindestens 200 Franken pro Monat verlangte («Ein Kind, eine Zulage»). Darauf basierend verabschiedeten die eidgenössischen Räte 2006 das Bundesgesetz über die Familienzulagen (FamZG) als Rahmengesetz. Dieses war nach 15 Jahren ausserordentlich hart geführten politischen Auseinandersetzungen schliesslich als Kompromisspaket zustande gekommen.
Die Schaffung des Familienzulagengesetzes war mit Blick auf die langwierigen politischen Kämpfe ein bedeutender familien- und sozialpolitischer Fortschritt. Vor dessen Schaffung regelten 26 kantonale Familienzulagengesetze die Familienzulagen in vielen Bereichen unterschiedlich. Mit dem Bundesrahmengesetz wurde eine Harmonisierung in wichtigen Bereichen erreicht: Unterstellung der Arbeitnehmenden und der Nichterwerbstätigen (nicht aber der Selbstständigerwerbenden), Definition der Arten von Familienzulagen, Festlegung von schweizweiten Mindestzulagen für Kinder von monatlich 200 Franken und für Jugendliche in Ausbildung von 250 Franken, Verbot von Teilzulagen bei Teilzeitarbeit, schweizweit einheitliche Regelung des Anspruchs, der Anspruchskonkurrenz, der Altersgrenzen, der Anwendungsverfahren und der Koordination mit den anderen Sozialversicherungen. Die Kantone regeln innerhalb dieses Rahmens die Aufsicht über die Familienausgleichskassen, die Finanzierung und die Organisation. Sie können höhere Ansätze als die bundesrechtlich vorgeschriebenen Mindestansätze festlegen, die Selbstständigerwerbenden ihrem Gesetz ebenfalls unterstellen sowie zusätzlich Geburts- und Adoptionszulagen vorsehen.
Für die Promotoren einer umfassenden Bundeslösung war der Kompromiss, die Selbstständigerwerbenden dem Familienzulagengesetz nicht zu unterstellen, inakzeptabel, weil damit das Grundanliegen «Ein Kind, eine Zulage» für eine ganze Gruppe von Erwerbstätigen nicht verwirklicht worden war. Bereits 2006 verlangte eine parlamentarische Initiative die Unterstellung auch der Selbstständigerwerbenden im Bundesgesetz. Nach erneut heftig geführten Debatten wurde die entsprechende Revision 2011 verabschiedet. Das Spezialgesetz für die Landwirtschaft blieb bestehen.
Mit der damit erfolgten weitgehenden Verwirklichung des Prinzips «Ein Kind, eine Zulage» fand der langwierige Prozess der Entstehung des Familienzulagengesetzes als Bundesrahmengesetz seinen Abschluss. Seither wurde es in seiner Struktur nicht mehr verändert. Es wurden lediglich einzelne Verbesserungen realisiert: 2011 wurde das Familienzulagenregister in Betrieb genommen. 2020 wurde das Alter für den Bezug von Ausbildungszulagen vom 16. auf das 15. Altersjahr des Kindes gesenkt, arbeitslosen Müttern während ihres Mutterschaftsurlaubs Familienzulagen gewährt sowie die Ausrichtung von Finanzhilfen an Familienorganisationen geregelt. Im März 2024 verpflichtete das Parlament die Kantone, die Finanzierung der Familienzulagen über einen vollen Lastenausgleich zwischen den einzelnen Familienausgleichskassen bzw. zwischen den Branchen zu regeln. Auf kantonaler Ebene beschränkte sich die Entwicklung vor allem auf den Ausbau der Leistungen. So haben viele Kantone von ihrem Recht Gebrauch gemacht, höhere Zulagen auszurichten als vom Bund vorgeschrieben.
Lücken und Mängel im geltenden System
Drei grundlegende Strukturmerkmale prägen das schweizerische Familienzulagensystem.
Erstens die Anknüpfung an den Erwerbsstatus: Der Anspruch auf Familienzulagen ist an den Erwerbsstatus der Eltern – Arbeitnehmende, Selbstständigerwerbende, Nichterwerbstätige – gebunden und nicht wie in den meisten europäischen Ländern an das Kind selbst. Diese Anknüpfung ist der Hauptgrund dafür, dass bis heute das politisch breit abgestützte Ziel «Ein Kind, eine Zulage» nicht vollumfänglich umgesetzt werden kann. Anspruchslücken ergeben sich bei Eltern, die sich in prekären Erwerbssituationen befinden – beispielsweise bei kurzzeitigen Arbeitsverträgen, Temporärarbeit, Arbeit auf Abruf, Heimarbeit ohne vertraglich festgelegte Stundenzahl und Scheinselbstständigkeit. Auch der aufwendige und teure Durchführungsapparat mit mehreren Hundert Familienausgleichskassen ist eine direkte Folge der Anknüpfung an den Erwerbsstatus. Schliesslich ist das damit verbundene komplexe Regelwerk für viele Bürgerinnen und Bürger kaum verständlich, und Veränderungen im Erwerbsleben oder bei Wohnortswechseln sind oftmals mit aufwendigen Anspruchs- und/oder Kassenwechseln verbunden.
Zweitens die geteilte Zuständigkeit zwischen Bund und Kantonen: Diese führt zu einem erheblichen Gefälle zwischen den Kantonen bezüglich Höhe und Art der ausgerichteten Leistungen. So richten sechs Kantone nach wie vor die vom Bund vorgegebenen Mindestzulagen aus, während andere Kantone Zulagen über 300 bzw. 400 Franken pro Kind und Monat gewähren. In neun Kantonen besteht zudem Anspruch auf Geburtszulagen, in acht Kantonen auf Adoptionszulagen. Entsprechend unterschiedlich sind die Kosten, die je nach Leistungshöhe in den einzelnen Kantonen zu finanzieren sind. Ebenso ergibt sich aus diesen unterschiedlichen Leistungen das administrativ aufwendige System der Ausrichtung von interkantonalen Differenzzulagen. Schliesslich ist festzuhalten, dass die Familienzulagen zwar ein wichtiger Beitrag an die Kosten der Familien für ihre Kinder sind, sie es aber nicht vermögen, die Familienarmut gezielt und effizient zu minimieren.
Drittens die Privilegien für die Landwirtschaft: Während die Selbstständigerwerbenden ausserhalb der Landwirtschaft ihre Zulagen eigenständig finanzieren müssen, werden die Zulagen für die Bäuerinnen und Bauern von der öffentlichen Hand finanziert (zwei Drittel der Bund, ein Drittel die Kantone). Abgesehen von der Frage, ob dieses Privileg nach wie vor gerechtfertigt ist, ergeben sich aus dem Nebeneinander der beiden Gesetze namentlich in der Durchführung schwierige Abgrenzungs- und Zuständigkeitsprobleme. Diese werden zudem immer grösser. Einerseits sind wichtige Bestimmungen im Spezialgesetz materiell veraltet. Das heisst, sie stimmen je länger, je weniger mit der sich rasch verändernden Agrargesetzgebung überein. Andererseits werden die Erwerbstätigkeiten der Bäuerinnen und Bauern vielfältiger und lassen sich immer weniger von rein landwirtschaftlichen Tätigkeiten abgrenzen.
Eine umfassende Bundeslösung
Die mit der komplexen Struktur des schweizerischen Familienzulagensystems einhergehenden Lücken und Mängel sind systemimmanent. Sie lassen sich mit einzelnen Reformen nicht beheben, allenfalls können damit einzelne Verbesserungen erzielt werden. Soll das System grundlegend und nachhaltig verbessert werden, bedarf es einer umfassenden Bundeslösung. Diese müsste folgende Eckwerte enthalten:
- Die Familienzulagen werden durch den Bund schweizweit einheitlich geregelt.
- Der Anspruch auf Familienzulagen wird unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern an das Kind geknüpft; alle Einkommensgrenzen werden aufgehoben. Die Zulage wird an die obhutsberechtigten Personen (Eltern) bzw. an die obhutsberechtigte Einelternfamilie ausgerichtet. Damit besteht schweizweit für alle Kinder und Jugendlichen in Ausbildung Anspruch auf dieselben Zulagen.
- Um die Familienarmut gezielt zu minimieren, werden zusätzlich zu den Familienzulagen Bedarfszulagen an Working-Poor-Familien ausgerichtet.
- Es wird ein zentraler schweizerischer Ausgleichsfonds für Familienzulagen mit vollem Lastenausgleich geführt. Dessen Äufnung erfolgt beim Start mittels Überführung der Schwankungsreserven aller Familienausgleichskassen. Derzeit belaufen sich diese Reserven auf rund 3 Milliarden Franken. Zur Einordnung: Dies entspricht in etwa der Hälfte der jährlich gemäss dem Familienzulagengesetz ausgerichteten Leistungen.
- Die kantonalen Familienausgleichskassen überprüfen und bewilligen die Anträge für die in ihrem Kanton wohnhaften Kinder und richten für diese die Zulagen aus. Die privaten Familienausgleichskassen werden aufgelöst, ihre Schwankungsreserven dem schweizerischen Ausgleichsfond gutgeschrieben. Bisherige übertragene Aufgaben der Familienausgleichskassen werden den AHV-Kassen zugewiesen.
- Die Finanzierung erfolgt über Lohnbeiträge sowie über Beiträge der Selbstständigerwerbenden und der öffentlichen Hand.
- Die Lohnbeiträge werden von den AHV-Ausgleichskassen erhoben und an den Fonds weitergeleitet.
- Eine Bundesstelle ist für die Prüfung und die Ausrichtung von Zulagen für Kinder mit Wohnsitz im Ausland und für die Aufsicht über die Durchführung des Gesetzes zuständig.
- Das Spezialgesetz für die Landwirtschaft wird aufgehoben.
- Den Kantonen wird die Möglichkeit zugestanden, zusätzliche (höhere) Zulagen auszurichten. Sie müssen diese jedoch eigenständig, ausserhalb des schweizerischen Ausgleichsfonds finanzieren und auch für diese die Bestimmungen des Bundesgesetzes vollumfänglich anwenden. Damit soll Kantonen mit höheren als die vom Bund festgelegten Familienzulagen ermöglicht werden, ihr bisheriges Niveau zu erhalten.
Vorteile einer umfassenden Reform
Die Vorteile einer solchen Reform liegen auf der Hand: Mit der Anbindung des Anspruchs auf Familienzulagen an das Kind und der Aufhebung der Einkommensgrenzen können alle noch bestehenden Anspruchslücken beseitigt werden. Zudem kann mit zusätzlichen Bedarfsleistungen an Working-Poor-Familien die Kinder- und Familienarmut gezielt gesenkt werden.
Mit der Schaffung schweizweit gleicher Finanzierungsregeln, kombiniert mit einem schweizerischen Ausgleichsfonds (und damit dem Wegfall der Schwankungsreserven der einzelnen Familienausgleichskassen) sowie branchenunabhängigen, schweizweit gleichen Lohnbeiträgen (und allfällig gleicher Belastung der öffentlichen Hand), ist das System auch finanzierungsseitig wesentlich gerechter. Dazu gehört auch der Wegfall des Finanzierungsprivilegs des Landwirtschaftssektors.
Die Verwaltungskosten sinken aufgrund des schlankeren Durchführungsapparats deutlich. Zudem verringert sich der Prüfaufwand für die Familienausgleichskassen, die Zahl der Kassenwechsel nimmt drastisch ab, interkantonale Differenzzulagen fallen weg, der Export der Familienzulagen ins Ausland wird einfacher, und die Erhebung der Lohnbeiträge erfolgt gemeinsam und analog mit jenen für die erste Säule.
Mit der alleinigen Steuerungskompetenz des Bundesgesetzgebers lässt sich die Aufsicht über die Durchführung an die Standards und an die Modernisierungsprozesse der ersten Säule angleichen. Zudem können die Familienzulagen vollumfänglich in die Digitalisierungsstrategie der ersten Säule eingebunden und entsprechende Innovationen mit den Mitteln des gesamtschweizerischen Fonds finanziert werden. Schliesslich lassen sich materielle Weiterentwicklungen des Familienzulagensystems einfacher umsetzen.
Trotz dieser offensichtlichen Vorteile lässt sich mit Blick auf die langwierige und politisch höchst kontroverse Entstehungsgeschichte des Familienzulagengesetzes als Rahmengesetz unschwer ableiten, dass die Realisierungschancen eines umfassenden Bundesgesetzes klein sind. Der politische Knackpunkt liegt weniger in der Thematik «Ausbau des Sozialstaats» als vielmehr im Föderalismus, der gerade in der Familienpolitik so stark verankert ist. Zu hoffen ist, dass mit der hier skizzierten konkreten Ausgestaltung einer umfassenden Bundeslösung eine ergebnisoffene Diskussion über die Zukunft des schweizerischen Familienzulagensystems angestossen wird.
Literaturverzeichnis
Stampfli, Marc (2024). Das schweizerische Familienzulagensystem. Entstehung, aktuelle Ausgestaltung und Reformmöglichkeiten. Studie im Auftrag des BSV, September.