Ausgesteuerte Arbeitslose kurz vor der Pensionierung werden besser abgesichert

Das schweizerische System der sozialen Sicherheit wird mit den Überbrückungsleistungen für Personen, die nach dem 60. Altersjahr ausgesteuert werden, erweitert. Diese schliessen eine Lücke im Sozialversicherungssystem zwischen Arbeitslosigkeit und Pensionierung und sind gerade in Zeiten von Corona willkommen.
Mélanie Sauvain
  |  04. Juni 2021
    Recht und Politik
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  • Überbrückungsleistungen

Gerade einmal zwei Jahre und ein paar Monate benötigten Bundesrat, Parlament und die Bundesverwaltung für die Einführung der neuen Sozialversicherung. Ein solches Tempo ist in der Geschichte der sozialen Sicherheit eher die Ausnahme. Das liegt zweifellos auch daran, dass die Ausarbeitung des Bundesgesetzes über Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (ÜLG; BBl 2020 5519) im breiteren Rahmen rund um die Förderung der Arbeitsmarktfähigkeit älterer Fachkräfte stattfand (www.fachkraefte-schweiz.ch/de/50plus/). Mit der demografischen Alterung und dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel ist der Erhalt dieser Arbeitsmarktfähigkeit zentral und daher seit mehreren Jahren ein vorrangiges Ziel des Bundes. Im Rahmen der Arbeitslosenversicherung wurde hierzu bereits eine ganze Reihe von Massnahmen umgesetzt (Bundesrat 2019a). Jetzt sollen die Überbrückungsleistungen als letzte Massnahme den Existenzbedarf von Personen decken, die nach dem vollendeten 60. Altersjahr aus der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert werden (Bundesrat 2019b).

Erwerbsbeteiligung älterer Personen In der Schweiz sind die 55- bis 64-Jährigen relativ gut in den Arbeitsmarkt integriert und befinden sich meist in stabileren Anstellungsverhältnissen als jüngere Erwerbstätige. Sie sind konjunkturellen Schwankungen weniger ausgesetzt und haben ein weniger grosses Risiko, arbeitslos zu werden. Allerdings sind ältere Arbeitslose stärker von Langzeitarbeitslosigkeit (länger als ein Jahr) betroffen. Ein fortgeschrittenes Alter, das häufig mit einer nicht mehr zeitgemässen Ausbildung einhergeht, reduziert die Chancen einer beruflichen Wiedereingliederung massiv. So dauert etwa die Stellensuche der über 50-Jährigen rund 1,5-mal länger als im gesamtschweizerischen Durchschnitt. Gemäss SECO (2021b) war 2019 nahezu jede vierte arbeitslose Person ab 50 Jahren seit mehr als einem Jahr arbeitslos, während es bei den unter 50-Jährigen jede zehnte war (vgl. Grafik G1). Bei den Personen ab 60 lag der Anteil sogar bei über einem Drittel (vgl. Grafik G2).

Strenge Anspruchsvoraussetzungen Anspruch auf Überbrückungsleistungen haben nur Personen ab 60 Jahren, die nach dem 1. Januar 2021 von der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert wurden. Der Anspruch kann ab Inkrafttreten des neuen Gesetzes per 1. Juli 2021 geltend gemacht werden. Dazu müssen die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:

  • insgesamt mindestens 20 AHV-Beitragsjahre, davon mindestens fünf nach dem 50. Altersjahr;
  • jährliches Erwerbseinkommen von mindestens 75 Prozent der maximalen AHV-Altersrente; oder entsprechende Erziehungs- und Betreuungsgutschriften der AHV in diesen 20 Jahren;
  • kein Anspruch auf eine Altersrente der AHV oder eine Invalidenrente der IV;
  • Vermögen unter 50 000 Franken für alleinstehende Personen oder unter 100 000 Franken für Ehepaare (selbstbewohntes Wohneigentum wird nicht angerechnet).

Personen, die vor dem 1. Januar 2021 oder vor Vollendung ihres 60. Altersjahrs von der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert wurden, haben keinen Anspruch auf Überbrückungsleistungen. Die Leistung wird grundsätzlich bis zum Erreichen des ordentlichen Rentenalters ausgerichtet. Bei Personen, bei denen absehbar ist, dass sie mit Eintritt ins ordentliche Rentenalter Ergänzungsleistungen (EL) erhalten werden, endet der Anspruch auf Überbrückungsleistungen, sobald sie ihre Altersrente vorbeziehen können.

Plafonierte Leistungen Mit den Überbrückungsleistungen soll der Existenzbedarf ausgesteuerter Personen gesichert werden, die noch keinen Anspruch auf eine Altersrente der AHV haben. Die Bezügerinnen und Bezüger erhalten eine jährliche Überbrückungsleistung und können sich die Krankheits- und Behinderungskosten vergüten lassen. Die jährliche Überbrückungsleistung wird gleich berechnet wie die periodisch ausbezahlten Ergänzungsleistungen (EL): Ihre Höhe entspricht der Differenz zwischen den anerkannten Ausgaben und den anrechenbaren Einnahmen (vgl. Tabelle T1). Sie kann folglich je nach Situation der Bezügerin oder des Bezügers variieren. Der Betrag muss existenzsichernd sein, damit die Betroffenen nicht ihr Erspartes und ihr Kapital aus der 2. Säule aufbrauchen und schliesslich Sozialhilfe beantragen müssen, was sich bei der Pensionierung negativ auf ihre Altersleistung auswirken würde.

Die Höhe der Überbrückungsleistungen (inkl. Krankheits- und Behinderungskosten) ist auf das 2,25-Fache des Betrags für den allgemeinen Lebensbedarf gemäss EL begrenzt. Alleinstehende erhalten somit maximal 44 123 Franken, Paare oder Personen mit Kind(ern) maximal 66 184 pro Jahr. Mit dieser Obergrenze haben die Bezügerinnen und Bezüger einen Anreiz, sich weiterhin um eine Stelle zu bemühen.

Im Rahmen einer Studie, die sich auf die einschlägige Forschungsliteratur sowie auf die Erfahrungen des Kantons Waadt mit der Rente-pont stützte, wurden diese Erwerbsanreize bzw. mögliche nicht erwünschte Verhaltensänderungen sowohl seitens der Arbeitssuchenden als auch der Arbeitgeber untersucht. Gemäss dieser Studie (Rudin et al. 2019) steuern die vorgelagerten Fördermassnahmen der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) möglichen Fehlanreizen wirksam entgegen. Ausserdem haben aufgrund der relativ strikten Anspruchsvoraussetzungen lange nicht alle inländischen Arbeitskräfte Zugang zu Überbrückungsleistungen. Der Studie zufolge ist nicht zu befürchten, dass sich ältere Arbeitslose in volkswirtschaftlich relevantem Ausmass weniger um eine Integration in den Arbeitsmarkt bemühen oder dass Arbeitgeber vermehrt ältere Mitarbeitende entlassen.

Mehr als 3000 Leistungsbeziehende pro Jahr Die Zahl der Bezügerinnen und Bezüger von Überbrückungsleistungen wird anfangs schrittweise ansteigen. Da nur Personen anspruchsberechtigt sind, die ab dem 1. Januar 2021 ausgesteuert wurden, werden die Auswirkungen erst nach einigen Jahren in ihrem ganzen Ausmass sichtbar sein.

Nach Schätzungen des BSV werden im ersten Jahr rund 1300 Personen Überbrückungsleistungen beziehen. Anschliessend dürften es maximal 3500 pro Jahr sein. Im ersten Jahr ist mit Kosten in der Höhe von rund 20 Millionen Franken zu rechnen, nach zehn Jahren dürften sie sich bei rund 150 Millionen Franken pro Jahr einpendeln (vgl. Tabelle T2).

Die Überbrückungsleistungen werden durch allgemeine Bundesmittel finanziert; es werden keine Lohnbeiträge erhoben.

Projektleiterin,
Öffentlichkeitsarbeit, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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