Eine Elternzeit für die Schweiz?

Eine Elternzeit verbessert – je nach Ausgestaltung – die Chancengerechtigkeit der Kinder und wirkt sich unter anderem positiv auf die Gesundheit und die Erwerbstätigkeit der Mütter aus. Zu diesem Schluss gelangt eine Studie im Auftrag des Bundesrats.
Xenia Hediger
  |  19. Februar 2025
    Recht und Politik
  • Erwerbsersatzordnung
  • Familie
  • Gleichstellung
  • Kinder
Wenn Väter sich nach der Geburt stärker an der Betreuung und Erziehung der Kinder beteiligen, wirkt sich dies positiv auf die Vater-Kind-Beziehung aus. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Das Forschungsbüro Econcept hat in einer Literaturanalyse die Auswirkungen verschiedener Elternzeitmodelle zusammengefasst und systematisch aufgearbeitet.
  • Bei einer paritätischen Aufteilung der Elternzeit sind die positiven Effekte für die Familien grösser, als wenn die Eltern die Wochen untereinander aufteilen können.
  • Die untersuchten Elternzeitmodelle fördern unter anderem den Abbau von geschlechterspezifischen Ungleichheiten bei der Aufteilung von Care- und Hausarbeit sowie bei der Erwerbstätigkeit.

Seit einigen Jahren fordern verschiedene Akteure in der Schweiz eine Elternzeit. Denn im internationalen Vergleich sind die Urlaube im Zusammenhang mit einer Geburt in der Schweiz kurz. Derzeit haben Mütter in der Schweiz Anspruch auf einen 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub. Dem anderen Elternteil stehen 2 Wochen zur Verfügung. Demgegenüber gewähren die EU-Staaten Müttern im Schnitt rund 66 Wochen, der OECD-Durchschnitt liegt bei rund 52 Wochen (OECD 2023).

Seit Längerem fordert beispielsweise die Eidgenössische Kommission für Familienfragen (EKFF) die Einführung einer 38-wöchigen Elternzeit. Sie schlägt – im Anschluss an das 8-wöchige Arbeitsverbot der Mutter – je 15 Wochen pro Elternteil vor. Die Mutter kann dabei bis zu 7 Wochen an den Vater übertragen, jedoch nicht umgekehrt.

Im November 2024 lancierte eine überparteiliche Allianz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die «Familienzeit-Initiative». Die Initiative sieht vor, dass beiden Elternteilen gleich viel Elternzeit zusteht, die nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden kann. Pro Elternteil sind 18 Wochen vorgesehen.

Auf kantonaler Ebene hat die Genfer Stimmbevölkerung im Jahr 2023 eine Vorlage zu einer 6-wöchigen Elternzeit angenommen. Da die Umsetzung jedoch eine Änderung der Erwerbsersatzordnung (EO) erfordert und die Kompetenz hierfür beim Bund liegt, kann die Elternzeit im Kanton Genf derzeit noch nicht umgesetzt werden.

Systematische Analyse

Im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) hat des Forschungsbüro Econcept in einer Literaturanalyse Effekte von verschiedenen Elternzeitmodellen systematisiert (Econcept 2025). Anlass bildete das Postulat «Volkswirtschaftliches Gesamtmodell (Kosten-Nutzen) von Elternzeitmodellen». Der Forschungsbericht zeigt auf, ob und allenfalls wie Kosten und Nutzen verschiedener Elternzeitmodelle auf gesamtwirtschaftlicher Ebene verglichen werden können.

Anhand von zwei hypothetischen Elternzeitmodellen für die Schweiz werden die Ergebnisse der Literaturanalyse auf die Schweiz bezogen. Einerseits wird ein paritätisches Elternzeitmodell untersucht, das zusätzlich zum Status quo für beide Eltern je 11 Wochen Bezugsdauer vorsieht. Und andererseits wird ein variables Elternzeitmodell mit 22 zusätzlichen Wochen für beide Elternteile betrachtet, wobei 16 Wochen frei aufteilbar und 6 Wochen für den anderen Elternteil reserviert sind.

Die Finanzierung spielt für die Abschätzung der Kosten und Nutzen eine entscheidende Rolle. In der Studie wurden folgende Annahmen getroffen: Bei allen Elternzeitmodellen sind eine Finanzierung und Entschädigung über die Erwerbsersatzordnung und eine Erwerbsersatzquote von 80 Prozent vorgesehen.

Vorteile für die Familien

Eine ausgebaute Elternzeit kann je nach Ausgestaltung positive und negative Wirkungen entfalten. So wird die Gesundheit von Müttern durch eine Reduktion ihrer Belastung begünstigt. Auch die Entwicklung der Kinder wird – insbesondere bei einer Urlaubszeit von weniger als einem Jahr – positiv beeinflusst.

Die Stabilität der Paarbeziehung sowie der Kinderwunsch können gestärkt werden, allerdings sind die Erkenntnisse diesbezüglich uneinheitlich. Eine längere Urlaubszeit des Vaters kann eine egalitärere Aufteilung der Care- und Hausarbeit zwischen den Eltern begünstigen und die Beziehung des Kindes zum Vater – zumindest während des Urlaubs – stärken.

In Bezug auf die Arbeitsmarktbeteiligung zeigt sich: Die längere Urlaubsdauer von bis zu sechs Monaten für Mütter fördert deren Verbleib im Arbeitsmarkt und auch deren Erwerbstätigkeit. Die Inanspruchnahme der Elternzeit durch Väter wirkt sich zusätzlich positiv auf die Erwerbstätigkeit und das Einkommen von Müttern aus.

Bereits heute nehmen Mütter, die nach einer Geburt weiterhin erwerbstätig sind, gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS 2021 a) ihre Berufstätigkeit im Durchschnitt rund sechs Monate nach der Geburt wieder auf. Für diese zusätzlichen Abwesenheiten nach dem 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub sind derzeit individuelle Lösungen der Unternehmen gefordert, was den Planungsaufwand und die Fluktuation erhöht. Während grosse Unternehmen Gegensteuer geben können, indem sie bereits heute freiwillig eine überobligatorische Elternzeit anbieten, verfügen kleinere Unternehmen häufig nicht über solche finanziellen Möglichkeiten.

Auf der anderen Seite muss abhängig von der Finanzierung einer allfälligen Elternzeit mit hohen indirekten Kosten für die Unternehmen gerechnet werden. Eine Verteuerung der Lohnnebenkosten würde sich zudem negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken. Die Herausforderung insbesondere für kleine Unternehmen würde wachsen. Sie müssten – wie dies heute bereits in weiblich dominierten Branchen der Fall ist – eine längere Absenz in der einen oder anderen Form kompensieren.

Egalitärere Risikoverteilung

Der Vater, respektive die Ehefrau der Mutter, wird gemäss heutigem Kenntnisstand in seiner Erwerbstätigkeit durch eine Elternzeit nicht beeinflusst. Kurz- und mittelfristig kann eine Elternzeit jedoch zu tieferen Einkommen beim anderen Elternteil führen. Da verschiedene Effekte wirken, lässt sich der Gesamteffekt auf Beschäftigung und Wertschöpfung sowie auf die demografische Entwicklung und die Steuereinnahmen ohne weitere Analysen nicht abschätzen. Solche vertieften Analysen sind dann erfolgversprechend, wenn klar definiert ist, welche politischen Ziele mit der Einführung einer Elternzeit verfolgt werden.

Im Bereich der Schätzung von Nutzen anhand vermiedener Kosten sind insbesondere tiefere Gesundheitskosten sowie Bildungs- und Sozialausgaben zu nennen. Jedoch lassen sich auf Basis des aktuellen Kenntnisstands keine Thesen dazu ableiten. Die höhere Inanspruchnahme durch den anderen Elternteil ermöglicht Müttern zusätzliches ausserfamiliäres Engagement im Beruf und in anderen Bereichen wie Politik oder Freiwilligenarbeit, was zur Gleichstellung beiträgt.

Zu möglichen positiven Auswirkungen im Bereich Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt lassen sich auf Basis des aktuellen Kenntnisstands keine Thesen ableiten. Eine Elternzeit würde jedoch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Risiken einer Elternschaft vermehrt auf beide Geschlechter verteilt werden und nicht überwiegend zulasten der Frauen gehen.

Ob und allenfalls in welchem Ausmass sich die potenziellen Wirkungen einer Elternzeit entfalten, hängt neben der konkreten Ausgestaltung eines Elternzeitmodells von zahlreichen weiteren Einflussfaktoren ab, wie beispielsweise den Rahmenbedingungen zur institutionellen Kinderbetreuung.

Weniger Nutzen beim variablen Modell

Bei den variablen Elternzeitmodellen kann im Gegensatz zu den paritätischen Modellen ein Elternteil die Wochen des anderen Elternteils beziehen. Ein Blick auf solche Modelle zeigt: In der Praxis beziehen vor allem Mütter die für den anderen Elternteil vorgesehenen Wochen, während Väter die ihnen zustehenden Wochen nicht vollständig in Anspruch nehmen. Das paritätische Modell schränkt daher die Übertragung der Wochen des zweiten Elternteils auf die Mütter ein.

Dies hat zur Folge, dass das paritätische Modell gegenüber dem variablen Modell in verschiedener Hinsicht im Vorteil ist – zum Beispiel in Bezug auf die Gesundheit der Mütter, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil, den Anteil der vom anderen Elternteil geleisteten Care- und Hausarbeit, die Erwerbstätigkeit der Mütter, die Einkommen der Mütter, die Gleichstellung allgemein und die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt.

Das variable Modell hingegen hat beispielsweise in den Bereichen Einkommen des anderen Elternteils und Lohnnebenkosten weniger starke negative Auswirkungen als das paritätische Modell. Dies hängt unter anderem mit den durchschnittlichen Taggeldern von Müttern (2023: 139 Franken) und Vätern (2023: 180 Franken) (Statistik der Erwerbsersatzordnung [EO-Statistik]) zusammen.

Auswirkungen auf die Wahl des Familienmodells

Werden unbezahlte Arbeit und bezahlte Erwerbsarbeit zusammen betrachtet, so arbeiten Frauen praktisch gleich viel wie Väter. Allerdings ist festzuhalten, dass Frauen rund 66 Prozent ihrer Arbeit in Form von unbezahlter Arbeit leisten und 34 Prozent in Form von Erwerbsarbeit (BFS 2021b). Bei den Männern ist hingegen der Anteil der bezahlten Erwerbsarbeit deutlich grösser. So wird heute in der Schweiz von vielen Familien das männliche Ernährermodell gelebt: Bei diesem Modell beträgt das Arbeitspensum des Mannes über 90 Prozent, während die Frau weniger als 50 Prozent arbeitet und sich um Kinder und Haushalt kümmert (Lütolf 2023). In der Schweiz leben 38 Prozent der Eltern dieses Modell. Zum Vergleich: In Schweden und Deutschland sind es 15 respektive 19 Prozent.

Wenn heute dem Vater mit 2 Wochen Urlaub nach der Geburt weniger Betreuungszeit zur Verfügung steht als der Mutter, stützt dies bei der Familiengründung die Arbeitsteilung, dass der Mann arbeitet und die Frau zu Hause ist. Mit einer paritätischen Elternzeit erhalten beide Elternteile die Option auf ein längeres Zeitfenster, in dem sie entweder exklusiv für die Kinderbetreuung oder – im Wechsel mit dem anderen Elternteil – exklusiv für die Erwerbstätigkeit zuständig sein können. Damit wird ihre Wahlfreiheit deutlich gestärkt.

Schwierig messbare Wirkungen

Während für die Einführung eines konkreten Elternzeitmodells die direkten Kosten auf der Basis der heutigen Erwerbsersatzquote, der Bezugsdauer und der Bezugsquote geschätzt werden können, bleiben die indirekten Kosten sowie die direkten und indirekten Nutzen, die sich potenziell über Jahrzehnte auswirken, schwer quantifizierbar. Gleichzeitig ist zu beachten, dass die Kosten einer Elternschaft zu einem substanziellen Teil bereits heute anfallen. Mehrheitlich entstehen sie direkt bei den Familien, vor allem bei den Müttern oder auch bei Unternehmen und indirekt beispielsweise im Rahmen von höheren Gesundheitskosten oder Sozialausgaben. Dass sich nicht alle Familien eine Reduktion der Erwerbstätigkeit und damit eine wirtschaftliche Verschlechterung ihrer Situation leisten können, kann sich negativ auf die Chancengerechtigkeit bei den Kindern auswirken.

Nicht alle Wirkungen können auf eine Zahl oder sogar einen Frankenbetrag heruntergebrochen werden. Einige der Wirkungen lassen sich monetär ausdrücken (Einkommen von Müttern), andere können in quantitativer (Stillzeit) oder in qualitativer Form (Gleichstellung) ausgedrückt werden.

Politischer Prozess dauert an

Entscheidend ist also, welche Ziele mit einer Elternzeit erreicht werden sollen. Sind die Ziele geklärt, können diese mit entsprechender Gewichtung in einem Kosten-Nutzen-Modell berücksichtigt werden, um zu einer adäquaten Einschätzung der Kosten und des Nutzens einer Elternzeit zu gelangen. Abhängig von den Zielen, die mit einer Elternzeit erreicht werden sollen, ist die Ausgestaltung der Elternzeit anzupassen. Dabei sind die Bereiche Finanzierung einer Elternzeit, Möglichkeiten für einen gleichzeitigen Bezug durch die Elternteile oder Möglichkeiten, die Elternzeit zu unterbrechen, an die Ziele anzupassen. So kann heute der Mutterschaftsurlaub nicht unterbrochen werden, der Urlaub des anderen Elternteils kann hingegen auch tageweise bezogen werden. Die Zieldefinition erfordert einen politischen Prozess, der die kurz- und langfristigen Interessen aller Betroffenen abwägt.

In der Schweiz besteht derzeit keine politische Mehrheit in Bezug auf eine allfällige Elternzeit. Die Gräben verlaufen unter anderem entlang der Gegensätze links – rechts, Stadt – Land sowie Jung – Alt. Eine wichtige Rolle in der Debatte spielt die Frage, wie Investitionen im Bereich der Familienpolitik zu beurteilen und zu finanzieren sind.

Literaturverzeichnis

BFS (2021a). Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht 2021.

BFS (2021b). Durchschnittlicher Aufwand für Erwerbsarbeit, Haus- und Familienarbeit und Freiwilligenarbeit nach Geschlecht und Familiensituation.

Bundesrat (2025). Empirische Evidenzen und Machbarkeit einer gesamtwirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Betrachtung verschiedener Elternzeitmodelle. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 21.3961.

Econcept (2025). Elternurlaubsmodelle: Systematische Auslegeordnung empirischer Evidenzen und Machbarkeit einer gesamtwirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Betrachtung. Studie im Auftrag des Bundesrats, 19. Februar.

Lütolf, Meret; Lüssi, Pierre (2023). Egalitäre Vereinbarkeitspolitik – Das Familienreferenzmodell der Zukunft. In: Familien und Familienpolitik in der Schweiz – Herausforderungen im Jahr 2040 (S. 7–29). Bern: Eidgenössische Kommission für Familienfragen.

OECD (2023). Key Characteristics of Parental Leave Systems, OECD Family Database.

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Familienfragen, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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