Das unerlaubte Modell der «Lohnträgerschaft» verbreitet sich in der Schweiz: Dienstleister stellen Selbstständigerwerbende pro forma bei sich an – damit diese sozialversicherungsrechtlich besser abgesichert sind.
Auf einen Blick
- Das aus Frankreich stammende Modell der Lohnträgerschaft wird in der Schweiz vermehrt angewendet.
- In der Schweiz riskieren «Scheinunselbstständige» einen Ausschluss aus der Arbeitslosenversicherung, aus der Pensionskasse und der obligatorischen Unfallversicherung.
Selbstständigerwerbende haben gegenüber Unselbstständigerwerbenden einen geringeren obligatorischen sozialen Schutz: Beispielsweise können sie sich nicht bei der Arbeitslosenversicherung (ALV) versichern. Zudem gelten beim Anschluss an eine Pensionskasse andere Konditionen, und die Unfalldeckung richtet sich nach den Regeln der Krankenversicherung.
Findige Unternehmen bieten Selbstständigerwerbenden deshalb das Modell der sogenannten Lohnträgerschaft an: Sie erledigen die Buchhaltung, stellen Rechnung gegenüber deren Kunden, bezahlen Lohn und Sozialversicherungsbeiträge und stellen die Person dem Anschein nach bei sich an. Das aus Frankreich stammende Modell der Lohnträgerschaft hat allerdings einen Haken: Es ist in der Schweiz – im Gegensatz zu Frankreich – nicht zulässig.
Wer als selbstständigerwerbende Person im Modell der Lohnträgerschaft angestellt ist, riskiert somit, dass die Arbeitslosenversicherung im Falle einer Arbeitslosigkeit nicht zahlt. Dasselbe gilt bei einem Unfall. Und auch bei den Pensionskassen drohen rechtliche Schwierigkeiten.
Ein Beispiel soll das Modell der Lohnträgerschaft illustrieren: Der selbstständigerwerbende Fotograf Max mit eigenem Fotostudio wird von der Anwaltskanzlei Recht AG angefragt, alle Mitarbeitenden der Kanzlei für den neuen Internetauftritt zu fotografieren. Max sagt zu, weist die Recht AG aber darauf hin, dass die Fakturierung über die PortSal GmbH (Trägerunternehmen) erfolgt. Nachdem Max alle Fotos zur Zufriedenheit der Recht AG erstellt und geliefert hat, stellt die PortSal GmbH der Recht AG das Honorar für die Fotografien in Rechnung. Nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge und ihrer Provision in der Höhe von fünf Prozent zahlt sie Max sein Honorar aus. Eine Mitarbeiterin der Anwaltskanzlei, die Max fotografiert hat, fragt ihn kurz darauf an, ob er ihre Hochzeit fotografisch begleiten würde. Max ist gerne dazu bereit, verweist für die Rechnungsabwicklung erneut an die PortSal GmbH.
Was ist erlaubt?
Unproblematisch ist in der Schweiz, wenn ein Treuhandunternehmen die Buchhaltung im Auftrag der selbstständigerwerbenden Person übernimmt – diese jedoch nicht anstellt. Allerdings gelten in diesem Fall die Vorgaben für Selbstständigerwerbende.
Das zulässige Pendant für Arbeitnehmende ist der Personalverleih («Payrolling»): Hier übernimmt eine Personalverleihfirma Arbeitgeberfunktionen wie die Lohnauszahlung, die Abrechnung und Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen – und im Fall von ausländischen Arbeitnehmenden auch die Anmeldung bei Ausländer- und Steuerbehörden. Die Personalverleihfirma «leiht» die Person an einen Einsatzbetrieb aus und überträgt diesem das dem Arbeitgeber zustehende Weisungsrecht. Personalverleiher benötigen in der Schweiz eine Bewilligung.
Schub dank Corona
Während der Corona-Pandemie hat das Modell der Lohnträgerschaft in der Schweiz an Beliebtheit gewonnen. So haben beispielsweise viele selbstständigerwerbende Kulturschaffende feststellen müssen, dass sie nicht gegen Arbeitslosigkeit versichert sind. Am stärksten verbreitet ist das Modell derzeit in der Westschweiz, es weitet sich aber zusehends auf die übrigen Landesteile aus.
Angesichts dieser Zunahme in der Schweiz hat das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ein Factsheet erstellt. Damit will es auf die Risiken aufmerksam machen, die sich aus «Scheinunselbstständigkeit» ergeben. Erwerbstätige sind gut beraten, zu prüfen, ob es sich bei einem Buchhaltungsunternehmen um einen Treuhänder, einen Personalverleih oder um einen Anbieter von (unzulässiger) Lohnträgerschaft handelt.