Wer sind die Selbstständigen?

Die von der AHV erfassten Selbstständigerwerbenden verfügen oft nur über ein geringes AHV-pflichtiges Einkommen. Daraus lassen sich aber nur beschränkt Rückschlüsse auf ihre wirtschaftliche Situation ableiten.
Ann Barbara Bauer
  |  06. Juni 2023
    Forschung und Statistik
  • Alters- & Hinterlassenenversicherung
  • Selbstständige
Co-Working-Space in Zürich. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Seit 2001 ist die Anzahl aller AHV-Selbstständigen im Alter zwischen 18 und 63/64 Jahren in der Schweiz um 6 Prozent gesunken; die Zahl der selbstständigerwerbenden Frauen ist in diesem Zeitraum um 36 Prozent gestiegen.
  • Die in den individuellen Konten der AHV eingetragenen Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit können sehr klein sein, diese entsprechen aber nicht zwingend dem tatsächlichen Einkommen.
  • Viele Selbstständige erzielen zusätzlich ein Einkommen als Arbeitnehmende; bei verheirateten Selbstständigen trägt das Einkommen des Partners oder der Partnerin ebenfalls zum gemeinsamen Lebensunterhalt bei.

Zu bestimmen, wie viele Selbstständigerwerbende es in der Schweiz tatsächlich gibt, ist gar nicht so einfach. Je nach Definition werden andere Zahlen verwendet. Zudem erzielen viele Selbstständige gleichzeitig auch ein Einkommen als Arbeitnehmende (detaillierte Informationen zur Frage, wann und in welcher Form Einkommen von Selbstständigen in den individuellen Konten der AHV eingetragen werden, finden sich hier).

Im internationalen Kontext stützt sich der Begriff «selbstständigerwerbend» auf Arbeitsmarktdefinitionen und ist entsprechend breit gefasst: Als selbstständig gelten zum einen Erwerbstätige, die auf eigene Rechnung arbeiten. Zum andern zählen im internationalen Kontext auch Erwerbstätige zur Gruppe der Selbstständigen, die einen Grossteil des Kapitals einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) auf sich vereinen und somit «Arbeitnehmende» im eigenen Betrieb sind.

Das schweizerische Sozialversicherungsrecht fasst den Begriff enger. AHV-Ausgleichskassen erfassen in den individuellen Konten nur diejenigen als Selbstständigerwerbende, die auf eigene Rechnung arbeiten. Dies sind meist Solo-Selbstständige in einem Einzelunternehmen – beispielsweise Masseurinnen, Physiotherapeuten, Fitnesstrainerinnen, Künstler, Architektinnen und Ärzte. Wer hingegen eine GmbH oder eine Aktiengesellschaft gründet, gilt für die AHV nicht als selbstständigerwerbend.

In diesem Beitrag wird die engere Definition verwendet. Die im Folgenden verwendeten Daten stammen aus den individuellen Konten der AHV, die für die spätere Rentenberechnung relevant sind. Weil die Angaben auf der definitiven Steuerveranlagung basieren, sind von Selbstständigerwerbenden nur Zahlen bis 2017 verfügbar. Im Jahr 2017 waren in den individuellen Konten der AHV 296 200 Personen mit einem Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit erfasst.

Starker Rückgang der AHV-Selbstständigkeit bei Männern

Seit der Jahrtausendwende hat die Zahl der AHV-Selbstständigen abgenommen: Während im Jahr 2001 noch 314 000 Selbstständigerwerbende als Beitragszahlende in den individuellen Konten der AHV erschienen, sank deren Zahl bis 2017 um 6 Prozent auf 296 200 Personen (siehe Grafik 1). Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Arbeitnehmenden im Alter von 18 bis 63/64 Jahren, die AHV-Beiträge entrichteten, von 4 Millionen auf 5 Millionen um ein Viertel. Insgesamt wuchs die Zahl der 18- bis 63/64-Jährigen (ständige Wohnbevölkerung) von 4,6 Millionen auf 5,4 Millionen um 16 Prozent.

Schlüsselt man die Zahlen nach Geschlecht auf, so zeigt sich: Die Zahl der selbstständigerwerbenden Männer sank gegenüber 2001 besonders stark – um ein Viertel. Bei den Frauen ist es umgekehrt: Hier nahm die Zahl der Selbstständigerwerbenden um 36 Prozent zu. Mittlerweile ist knapp die Hälfte der Selbstständigerwerbenden weiblich.

Die Abnahme bei Männern kann teilweise mit der GmbH-Reform erklärt werden. Seit Anfang 2008 kann die Gründung einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft durch einen einzigen Gesellschafter erfolgen. Viele Selbstständige könnten diese Möglichkeit genutzt haben, wodurch sich der deutliche Rückgang der AHV-selbstständigen Männer erklären liesse. Sie wären dann in ihrem eigenen Betrieb angestellt – und gelten für die AHV damit nicht mehr als selbstständig erwerbend.

Die Gruppe der Selbstständigen unterscheidet sich von den Arbeitnehmenden in Bezug auf die Altersstruktur: Selbstständige sind durchschnittlich 48 Jahre alt – 8 Jahre älter als Arbeitnehmende im Durchschnitt. Über ein Drittel der Selbstständigen sind zudem zwischen 50 und 60 Jahre alt; bei den Arbeitnehmenden beträgt dieser Anteil lediglich ein Fünftel. Umgekehrt sind nur 5 Prozent der Selbstständigen jünger als 30 Jahre – gegenüber einem Viertel bei den Arbeitnehmenden.

Auch bei der Staatsangehörigkeit gibt es Unterschiede zwischen den beiden Kategorien: Bei Arbeitnehmenden liegt der Anteil der ausländischen Personen bei einem Drittel, bei den Selbstständigen mit einem Fünftel deutlich tiefer.

Selbstständig erwerbend und arbeitnehmend

Im Jahr 2017 erzielten rund 40 Prozent der Selbstständigen zusätzlich ein Einkommen aus einer Anstellung. Bei knapp einem Viertel war das Einkommen aus einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit sogar höher als jenes aus der selbstständigen Erwerbstätigkeit. Am stärksten ausgeprägt ist das Phänomen in der niedrigsten Einkommenskategorie (unter 10 000 Franken pro Jahr): Hier gingen fast 60 Prozent einer Anstellung nach, wobei bei knapp der Hälfte das AHV-pflichtige Einkommen höher war als jenes aus dem selbstständigen Erwerb (siehe Grafik 3).

Weil sich die AHV-Daten auf das gesamte Beitragsjahr beziehen, sind Mehrfachbeschäftigungen statistisch schwierig zu erfassen. Aus den Daten der individuellen Konten kann zwar ermittelt werden, ob jemand nur selbstständig erwerbstätig war, oder ob ein zusätzliches Einkommen als Arbeitnehmender erzielt wurde. Nicht ersichtlich ist jedoch, ob mehrere Beschäftigungen gleichzeitig oder nacheinander ausgeübt wurden.

Betrachtet man die Einkommensverteilung von Selbstständigen, so fällt auf, dass von den 296 200 Personen dieser Gruppe im Jahr 2017 knapp ein Drittel (89 900) ein AHV-pflichtiges Einkommen von unter 10 000 Franken pro Jahr aufwies. Dieser relativ grosse Anteil ist hauptsächlich durch Selbstständige verursacht, die nur den AHV-Mindestbeitrag entrichten. Ihnen wird für die spätere Rentenberechnung ein entsprechend tiefes «fiktives» Einkommen zwischen 9000 und 9500 Franken gutgeschrieben.

In der Gruppe mit «fiktiven» Einkommen aber auch bei allen anderen Selbstständigen liegt das AHV-pflichtige Einkommen von Selbstständigen in der Regel tiefer als das tatsächliche Einkommen, da in der Steuererklärung zahlreiche Abzüge vom tatsächlichen Einkommen möglich sind (unter anderem Gewinnungskosten, Abschreibungen und Rückstellungen und persönliche Einlagen).

Tiefe Einkommen überwiegen

Der Median der Einkommen aus der AHV-Selbstständigkeit lag im Jahr 2017 bei 26 000 Franken – das sind weniger als 2200 Franken pro Monat (siehe Grafik 4). Sprich: Über die Hälfte der Selbstständigerwerbenden erzielt mit der selbstständigen Erwerbstätigkeit ein geringes Einkommen. Im Vergleich zum Medianeinkommen ist das Durchschnittseinkommen aus der AHV-Selbstständigkeit mit 59 300 Franken pro Jahr mehr als doppelt so hoch, weil eine relativ grosse Gruppe (15 900) der AHV-Selbstständigen in der höchsten Einkommenskategorie vertreten ist (z. B. Ärztinnen und Ärzte). Ihr durchschnittliches Jahreseinkommen aus selbstständigem Erwerb liegt bei 390 000 Franken.

Wie erwähnt, gingen im Jahr 2017 rund 40 Prozent der Selbstständigen im selben Jahr zusätzlich einem Erwerb als Arbeitnehmende nach. Mit durchschnittlich 19 500 Franken pro Jahr war dieses Einkommen aber wesentlich tiefer als das durchschnittliche Einkommen von 59 300 Franken aus selbstständigem Erwerb. Diese grosse Differenz entsteht unter anderem, weil rund 60 Prozent kein zusätzliches Arbeitnehmereinkommen haben. Am höchsten ist das zusätzliche Einkommen als Arbeitnehmender (30 100 bzw. 23 400 Franken) in den zwei untersten Einkommenskategorien; mit zunehmendem Einkommen aus Selbstständigkeit nimmt es ab.

Weil knapp die Hälfte der Arbeitnehmenden und fast 60 Prozent der Selbstständigerwerbenden verheiratet sind, lohnt sich ein Blick auf das gemeinsame Erwerbseinkommen des Ehepaares. Die Statistik der Bevölkerung (Statpop) erlaubt es, die Ehepartner von Selbstständigen zu identifizieren und über die AHV-Daten auch deren AHV-pflichtiges Einkommen zu ermitteln. Damit kann aufgezeigt werden, ob und in welchem Ausmass Selbstständige, wenn sie verheiratet sind, auf weitere Erwerbseinkommen im Haushalt zählen können. Die gemeinsamen Einkommen bilden aber nicht die gesamte wirtschaftliche Situation von Selbstständigen ab. Einerseits handelt es sich nicht um ein Haushaltseinkommen, da nur verheiratete Paare (keine Konkubinate) betrachtet und weitere Einkommensarten nicht abgebildet werden. Andererseits wird nicht für die Anzahl Personen korrigiert, die potenziell von den beiden Einkommen leben müssen (beispielsweise die Anzahl Kinder).

Im Durchschnitt wiesen Ehepartner und -partnerinnen von Selbstständigen im Jahr 2017 ein AHV-pflichtiges Jahreseinkommen von 45 000 Franken auf (siehe Grafik 4). Bei Selbstständigen in den tiefsten und höchsten Einkommenskategorien lag dieses eher über dem Durchschnitt aller Einkommenskategorien, in den mittleren eher darunter. Für die unterste Einkommenskategorie bedeutet das, dass das durchschnittliche Einkommen aus Selbstständigkeit von 9000 Franken im Schnitt mit einem Einkommen von 30 100 Franken aus einer Anstellung und zusätzlich mit 52 600 Franken vom Ehepartner ergänzt wird.

Heterogene Welt der Selbstständigen

Insgesamt lässt sich sagen: Im Gegensatz zu Arbeitnehmenden und zur ständigen Wohnbevölkerung ist die Anzahl AHV-Selbstständigerwerbender in den letzten Jahren rückläufig. Mit verantwortlich für diesen Rückgang ist die 2008 in Kraft getretene GmbH-Reform, die neu Ein-Personen-Kapitalgesellschaften zulässt. Viele AHV-Selbstständige weisen ein relativ tiefes AHV-pflichtiges Einkommen auf. Das liegt zum einen daran, dass in der tiefsten Einkommenskategorie alle Selbstständigerwerbenden erfasst werden, die nur den AHV-Mindestbeitrag bezahlt haben und für die nur ein entsprechend tiefes fiktives Einkommen angenommen wird. Zusätzlich können Selbstständigerwerbende zahlreiche Abzüge in der Steuererklärung vornehmen, was dazu führt, dass das tatsächliche Einkommen oft unterschätzt wird. Nicht zuletzt erzielen gerade Selbstständige mit tiefen Einkommen überdurchschnittlich häufig noch ein Einkommen als Arbeitnehmende und können gegebenenfalls auf weitere Einkommen des Ehepartners oder der Ehepartnerin zählen.

Somit beschreiben die Daten der individuellen Konten der AHV nur einen Teil der vielfältigen Welt der Selbstständigen. Sie zeigen aber deutlich, dass Selbstständige Einkommen aus unterschiedlichen Formen der Erwerbstätigkeit erzielen. Die grosse Anzahl von Selbstständigen in der tiefsten Einkommenskategorie lässt jedoch nur begrenzt auf ihre tatsächliche wirtschaftliche Situation schliessen. Erst die Verknüpfung mit weiteren Informationen – etwa zur Branche – würde ermöglichen, die Gruppe der Selbstständigen mit tiefen Einkommen genauer zu analysieren.

Dr. rer. pol., Bereichsleiterin, Datengrundlagen und Analysen, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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