Die Publica setzt seit Kurzem stärker auf Sachwerte und Aktien und weniger auf Obligationen. Kommt diese neue Anlagestrategie angesichts der steigenden Zinsen nicht etwas spät?
Auch bei der neuen Anlagestrategie sind die Obligationen
weiterhin jene Anlagekategorie mit dem höchsten Gewicht. Für die Periode ab
2022 haben wir das Szenario einer Stagflation – also einer grösseren Inflation
verbunden mit einem reduzierten Wirtschaftswachstum – stärker gewichtet als
früher. In diesem Szenario macht es Sinn, vermehrt auf Sachwerte zu setzen, da diese grundsätzlich den besseren Inflationsschutz bieten als Obligationen. Das
Gesamtportfolio wird durch die Anlagestrategieanpassung ausgeglichener.
Zu den Sachwerten zählen auch Infrastrukturanlagen. Worauf legen Sie den Fokus in dieser neuen Anlagekategorie?
Ein Augenmerk legen wir zum Beispiel auf erneuerbare Energien. Von den Infrastrukturanlagen im Umfang von rund 1,2 Milliarden Franken legen wir die Hälfte in Fonds an, die andere Hälfte investieren wir – gemeinsam mit anderen institutionellen Anlegern – direkt.
Ende 2022 waren 16 Prozent des Vorsorgevermögens – also rund 6 Milliarden Franken – in Immobilien investiert. Neu sind sogar bis 18 Prozent möglich. Was macht Immobilien so attraktiv?
Immobilien sind eine stabilisierende Anlageklasse, die einen steten Cash-Flow generieren. Das ist für eine Pensionskasse wie Publica ideal. Gerade
in der Schweiz, wo die Nachfrage nach Wohnliegenschaften gross ist, haben
Immobilien in den vergangenen Jahren stark performt.
«Mit der Anlagestrategie von 2022 sind nun etwas mehr Risiken möglich»
Mehr als die Hälfte der Immobilienanlagen befindet sich im Ausland. Warum?
Publica investiert erst seit 20 Jahren in Immobilien. Weil das Angebot auf dem Schweizer Immobilienmarkt seit der Jahrtausendwende knapp ist und wir nicht bereit sind, jeden Preis zu zahlen, investierten wir auch im Ausland. So können wir zudem das Anlagerisiko besser diversifizieren.
Laut dem Anlagereglement von Publica berücksichtigen Sie auch ökologische, ethische und soziale Aspekte – sofern diese das Erreichen der Vorsorgeziele nicht beeinträchtigen. Kommt Rendite also vor Nachhaltigkeit?
Wir richten unsere Anlagestrategie nach den Vorgaben des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG). Dieses schreibt vor, dass wir eine marktübliche Rendite erwirtschaften müssen. Wir können daher nicht willentlich auf eine Rendite verzichten. Wir sind der Überzeugung, dass es in vielen Bereichen nicht eine Entweder-oder-Situation ist, entweder Rendite oder Nachhaltigkeit, sondern eine Sowohl-als-auch, indem wichtige Risiken und Opportunitäten identifiziert werden. Uns ist verantwortungsvolles Investieren sehr wichtig, weshalb wir seit acht Jahren eine anlagenübergreifende Nachhaltigkeitsstrategie anwenden.
Welche Verbesserungen haben Sie bereits erreicht?
Zunächst schlossen wir 2016 Kohleproduzenten aus unserem Anlageuniversum aus. Grundlage dafür war eine Risiko-Rendite-Analyse. Bei den Aktien richten wir uns heute zudem nach einem klimaeffizienten Aktienindex, der für jedes Unternehmen Risiken und Chancen aufzeigt. Bei den Immobilien in der Schweiz wiederum, die wir direkt bewirtschaften, werden wir die Treibhausgasemissionen in den nächsten zwölf Jahren gegenüber dem Jahr 2019 halbieren. Zum verantwortungsbewussten Investieren zählen nebst Umweltaspekten aber auch die Einhaltung einer Good Governance und von Sozialstandards. Diese Themen werden im Dialog mit den Unternehmen angesprochen. Staatsanleihen bewerten wir seit kurzem mithilfe eines Demokratieindexes. Länder, die gegen grundlegende demokratische Prinzipien verstossen, werden wir künftig nicht mehr in unser Anlageuniversum aufnehmen.
Ende 2022 fanden sich dort noch Staatsanleihen von Ländern wie China, Saudi-Arabien und Katar – alles keine Vorzeigedemokratien…
Die Anwendung des Demokratieindex befindet sich erst seit 2023 in der Umsetzungsphase. Die Umschichtung erfolgt gestaffelt über die Zeit.
Das Portfolio enthält auch Wertschriften von Tabakfirmen, weshalb die Lungenliga Schweiz einen Ausschluss dieser Titel fordert.
Bei Ausschlüssen von Wertschriften befolgen wir die normativen Vorgaben, die sich aus dem Völkerrecht ergeben. So haben wir Unternehmen ausgeschlossen, die geächtete Waffen herstellen. In Bezug auf Investitionen in Tabakunternehmen kennt die Schweiz keine völkerrechtlichen Vorgaben, worauf wir uns stützen könnten. Und aus einer Risiko-Rendite-Erwägung drängt sich kein Ausschluss auf. Letztlich ist die Politik für die Tabakprävention zuständig – und nicht die Pensionskassen. Zudem stellt sich die Abgrenzungsfrage: Müsste man gemäss dieser Logik beispielsweise nicht auch Alkoholproduzenten oder Glücksspielanbieter ausschliessen?
Im Gegensatz zur Publica schliesst die niederländische Pensionskasse ABP auch Ölproduzenten aus. Sie hingegen setzen auf den Dialog mit diesen Firmen. Warum?
Die Wirkung von Desinvestitionen in der Realwirtschaft ist begrenzt. Als Aktionärin können wir hingegen direkt auf ein Unternehmen einwirken. Da Publica alleine zu klein ist, um eine Hebelwirkung zu erzielen, sind wir Mitglied bei Investorenvereinigungen wie «Climate Action 100+» oder dem «Schweizer Verein für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen» und können dadurch unsere Interessen effektiver einbringen.
Einige Anlagen sind nur auf dem Papier nachhaltig. Wie vermeiden Sie dieses sogenannte Greenwashing?
In den vergangenen Jahren ist der Markt für nachhaltige Anlagen stark gewachsen. In der Folge wurde es immer schwieriger, die echten nachhaltigen Anlagen von den übrigen zu unterscheiden. Uns ist es daher wichtig, dass wir möglichst unabhängige Datenprovider haben, die möglichst objektive Daten mit hoher Qualität verwenden. Derzeit prüfen wir unsere Fondsgefässe genau.
Zur sozialen Gerechtigkeit zählen auch faire Mieten. In der Schweiz stehen Pensionskassen diesbezüglich manchmal in der Kritik.
Das Angebot auf dem Wohnungsmarkt ist knapp. Pensionskassen tragen mit ihren Investitionen dazu bei, dass mehr Wohnungen gebaut werden. Unsere Investitionen sind langfristig: Wir investieren in Wohnungen, die gut an den öffentlichen Verkehr und an Schulen sowie Einkaufsmöglichkeiten erschlossen sind. Aufgrund der erwähnten rechtlichen Anlagevorgaben verlangen wir marktübliche Mieten.
Geben Sie auch den gestiegenen Referenzzinssatz an ihre Mieterschaft weiter?
Ja, wir werden ab Anfang nächstem Jahr die Mietzinse erhöhen. Wir betrachten es als unsere treuhänderische Pflicht gegenüber den Versicherten, auf eine marktübliche Rendite hinzuwirken.
Die Verwaltungskosten von Publica belaufen sich auf 150 Franken pro Person. Was sind die Kostentreiber?
Bei den Verwaltungskosten liegen wir zwar unter dem Durchschnitt der Pensionskassen, aber es ist unser Ziel, diese weiter tief zu halten. Kostentreiber bei Publica ist unsere Struktur als Sammelstiftung mit mehreren Vorsorgewerken. Nächstes Jahr legen wir deshalb die geschlossenen Vorsorgewerke – also die Kassen der ehemaligen Bundesbetriebe – zu einem einzigen Vorsorgewerk zusammen.
Inwiefern bringt die digitale Plattform «myPublica» Kosteneinsparungen?
Mit dem Versichertenportal myPublica bezwecken wir keine Kosteneinsparungen. Wir möchten damit den Kundennutzen und das Interesse an der beruflichen Vorsorge steigern. Dies gelingt uns: Das Portal stösst auf grosses Interesse unter den versicherten Personen.
Der Deckungsgrad von Publica belief sich Ende 2022 auf tiefe 96 Prozent. Inwiefern stellt dies ein Problem dar?
Das ist eine schwierige Situation. Die Zinswende hat zu hohen Bewertungsverlusten der Obligationen geführt. Da die Unterdeckung konjunkturell bedingt ist, sind für das Jahr 2022 keine Sanierungsmassnahmen beschlossen worden. Aber die Zeit tickt: Wir müssen innert fünf Jahren einen Deckungsgrad von 100 Prozent erreichen. Klar ist: Der tiefe Deckungsgrad hat eine tiefere Verzinsung des Vorsorgevermögens zur Folge.
Der Zinssatz von Publica lag im vergangenen Jahr bei 0,9 Prozent – das ist noch tiefer als der BVG-Mindestzinssatz.
Ja, das ist für die versicherten Personen schmerzhaft, zumal sie auf ihrem Vorsorgevermögen wegen der Inflation einen Realzinsverlust erleiden.
Ein Teuerungsausgleich ist also in weiter Ferne?
Ja, ein Teuerungsausgleich ist gemäss dem Bundespersonalgesetz erst ab einem Deckungsgrad von 115 Prozent möglich.
Ist für das Anlagejahr 2023 Besserung in Sicht?
Wohl kaum. Die Performance war bisher nicht gut. Der Zinsanstieg ausserhalb der Schweiz drückt auf die Obligationen und auf die Immobilien im Ausland.
Könnte man sagen: Die konservative Anlagestrategie der vergangenen Jahre rächt sich?
Ja, in gewissem Masse schon. Dies hat aber historische Gründe: Bei der Gründung von Publica im Jahr 2003 musste der Bund Geld einschiessen. Mit einer risikoaversen Strategie wollte man verhindern, dass es ein zweites Mal dazu kommt. Mit der Anlagestrategie von 2022 sind nun etwas mehr Risiken möglich – dies braucht aber Zeit.
«Männer interessieren sich stärker für Vorsorgethemen als Frauen»
Die Renten der Frauen sind in der zweiten Säule tiefer als diejenigen der Männer. Was ist zu tun?
Die Renten der beruflichen Vorsorge sind ein Abbild des verdienten Einkommens über eine Erwerbskarriere hinweg. Frauen haben unter anderem tiefere Einkommen, da sie häufig Teilzeit arbeiten oder Erwerbsunterbrüche hatten. Immerhin hat Publica die Benachteiligungen der Teilzeitarbeit in der beruflichen Vorsorge schon seit langem beseitigt: Der Koordinationsabzug für Teilzeitarbeitende ist geringer. Zudem gibt es beim Vorsorgewerk Bund keine Eintrittsschwelle.
Frauen nutzen das Portal myPublica weniger als Männer. Warum ist das so?
Männer interessieren sich stärker für Vorsorgethemen als Frauen, wie wir auch bei unseren Beratungen merken. Die Materie schreckt viele Frauen ab. Auch eine Art Fatalismus gegenüber der Altersvorsorge ist zu beobachten, indem einige denken, sie können in der beruflichen Vorsorge ja eh nichts beeinflussen – was natürlich nicht stimmt. Wir fokussieren unsere Kommunikation deshalb gezielt auf Frauen. In unserem Newsletter haben wir beispielsweise eine Rubrik «BVG: Frauen sorgt vor!» erstellt, wo wir Themen wie den Koordinationsabzug oder freiwillige Einkäufe behandeln.
Das System der beruflichen Vorsorge ist historisch gewachsen und entsprechend komplex. Wie könnte es vereinfacht werden?
Wir müssen das System nicht umbauen, sondern sollten die Kommunikation gegenüber den versicherten Personen verbessern. Schwierig zu begreifen ist insbesondere der Unterschied zwischen dem Obligatorium und dem Überobligatorium. Die öffentliche Debatte dreht sich meist nur um Ersteres – das für die meisten Pensionskassen aber eine untergeordnete Rolle spielt.
Es braucht also keine Systemänderung?
Nein, die zweite Säule muss aber weiterhin eine Sozialversicherung bleiben. Der Gewinn soll den versicherten Personen zugutekommen – und nicht privaten Finanzdienstleistern. Die Kassen müssen paritätisch geführt werden; die Sozialpartnerschaft soll zum Tragen kommen.
«Die zweite Säule muss eine Sozialversicherung bleiben»
Der Trend geht derzeit in Richtung Sammeleinrichtungen – und damit weg von kleinen, paritätisch geführten Verbandskassen…
Es kommt immer darauf an, wer hinter einer Sammeleinrichtung steht. Wenn dies ein profitorientiertes Unternehmen ist, scheint mir das nicht im Sinne einer paritätisch geführten Sozialversicherung zu sein.
Bei einer öffentlich-rechtlichen Kasse wie Publica sind der Sozialpartnerschaft Grenzen gesetzt – das letzte Wort hat immer das Parlament. Wie erleben Sie das?
Das BVG sieht hier eine klare Rollenaufteilung vor: Für Leistungen – also die Ausgestaltung der Renten – ist das oberste Organ einer Kasse zuständig. Für die Finanzierung ist es die öffentliche Hand. Bei Publica ist diese Entflechtung derzeit noch nicht ganz vollzogen. Mit einem Gesetzesentwurf soll dieser Mangel in der Governance aber behoben werden.
Herrscht im System der beruflichen Vorsorge genügend Transparenz?
Mit der Strukturreform der zweiten Säule vor zwölf Jahren wurde die Kostentransparenz stark verbessert. Nicht immer hat diese Transparenz aber auch zu Kostensenkungen geführt: Transparenz nützt nichts, wenn keine Taten folgen. Im Vergleich zur dritten Säule herrscht in der zweiten Säule eine höhere Transparenz, und auch die Vermögensverwaltungskosten sind tiefer.
Nächstes Jahr kommt die BVG-Reform an die Urne. Wie positionieren Sie sich?
Die BVG-Reform bezieht sich auf die obligatorische berufliche Vorsorge. Wie erwähnt spielt diese aber für die meisten Pensionskassen eine untergeordnete Rolle. So auch für Publica. Unser Umwandlungssatz liegt im Referenzalter 65 bei 5,09 Prozent – also deutlich tiefer als die angestrebten 6 Prozent für das Obligatorium. Und auch die Verbesserungen für Teilzeitarbeitende haben wir bereits umgesetzt.
Doris Bianchi und Publica
Die 48-jährige Doris Bianchi ist seit drei Jahren Direktorin der Pensionskasse des Bundes Publica. Davor arbeitete die promovierte Juristin als geschäftsführende Sekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds und danach als persönliche Mitarbeiterin von Bundesrat Alain Berset. Ende 2022 zählte Publica rund 110 000 versicherte Personen und wies eine Bilanzsumme von 39,4 Milliarden Franken auf. Publica ist als Sammelstiftung mit 18 Vorsorgewerken organisiert. Mit einem Deckungsgrad von 96,2 Prozent befindet sie sich derzeit in Unterdeckung. Das Versichertenportal «myPublica» ist seit Herbst 2021 in Betrieb und zählt über 25 000 Nutzende.