Das elektronische Patientendossier – was bietet es?

Das 2022 schweizweit eingeführte elektronische Patientendossier trägt dazu bei, die Qualität und Sicherheit der medizinischen Behandlungen zu erhöhen. Im Dossier sind alle behandlungsrelevanten Informationen abgelegt und jederzeit abrufbar.
Gian-Reto Grond, Andrea Kretschmann
  |  26. Juni 2023
    Recht und Politik
  • Gesundheitspolitik
Labor im Waadtländer Universitätsspital CHUV. (Keystone)

Auf einen Blick

  • Das elektronische Patientendossier (EPD) ist seit 2022 schweizweit verfügbar.
  • Es bietet Patientinnen und Patienten sowie Gesundheitsfachpersonen einen Überblick über Behandlungen mit den dafür relevanten Daten und Resultaten.
  • Patientinnen und Patienten entscheiden, welche Gesundheitsfachpersonen Zugriff auf das EPD haben.

Die Schweizer Bevölkerung will Entscheidungen rund um ihre eigene Gesundheit und damit verbunden zu ihren Gesundheitsdaten eigenständig treffen können: Mit dem elektronischen Patientendossier (EPD) kann sie das. Im Sinne der Selbstbestimmung auch im digitalen Lebensumfeld entscheidet jede Person selbst, ob sie ihren Gesundheitsfachpersonen umfassende oder beschränkte Zugriffsrechte auf die im EPD gesicherten Gesundheitsinformationen erteilt. Den Überblick über die Verbreitung und Bearbeitung der eigenen Daten behält so jede Person selbst. Gemäss den neusten Ergebnissen des Swiss eHealth Barometers 2023 erachten sich etwas mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung als kompetent, um Entscheide über Zugriffe auf persönliche Gesundheitsdaten zu fällen (Golder et al 2023a: 18).

Das Datenschutzgesetz (DSG) und das Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG) stellen hohe Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit im EPD. Dies gilt insbesondere für die Anbieter des EPD: die Stammgemeinschaften. Zertifizierungen und umfassende regelmässige Prüfungen stellen unter anderem sicher, dass die Dokumente im EPD vor fremden Zugriffen geschützt und sicher abgelegt sind.

Das EPD bietet also eine gesicherte digitale Ablage von behandlungsrelevanten Informationen, was gerade bei der Behandlung von chronisch Kranken oder Menschen mit Mehrfacherkrankung wertvoll ist. Mit dem Zugriff aufs EPD stehen allen mit der Betreuung betrauten Gesundheitsfachpersonen die relevanten Informationen gleichermassen zur Verfügung. Der Zugang zu behandlungsrelevanten Informationen zwischen den Behandelnden unter sich aber auch zwischen den Behandelnden und ihren Patientinnen und Patienten wird dadurch vereinfacht. So stellt das EPD mit Blick auf die Verbesserung der Behandlungsqualität und die Sicherheit diagnostischer und therapeutischer Massnahmen auch ein zentrales Instrument für das Erreichen gesundheitspolitischer Ziele dar.

Das EPD im Alltag

Seit 2022 ist das EPD schweizweit verfügbar. Seither sind bei den sieben zertifizierten Stammgemeinschaften 20 000 EPD eröffnet worden. Damit gehen wir einen wichtigen Schritt vorwärts in Richtung Digitalisierung des Gesundheitswesens.

Mit Blick auf die Langzeitpflege oder Behandlung von Menschen mit chronischen Erkrankungen, die auf ihrem Behandlungsweg oft von mehreren Gesundheitsfachpersonen gleichzeitig betreut werden, stellt der Austausch von patientenbezogenen Informationen eine grosse Herausforderung dar: Der rasche Zugriff auf behandlungsrelevante Informationen im EPD kann gerade in solchen Fällen sowohl für die Patientensicherheit als auch die Behandlungsqualität entscheidend sein.

Auch für gesunde Menschen, so etwa in Notfällen, ist das EPD ein gewichtiges Argument, wenn medizinische Informationen möglichst schnell verfügbar sein müssen. Für 83 Prozent der Bevölkerung stellt dies laut dem Swiss eHealth Barometer 2023 das schlagende Argument für die Eröffnung eines EPD dar (Golder et al. 2023a: 26). So möchten 85 Prozent der Befragten, die offen für eine Nutzung des EPD sind, ihre Notfallkontakte im EPD hinterlegen (Golder et al. 2023a: 23).

Weiterentwicklung des EPD

Mit der Aufnahme des Betriebs haben die Diskussionen rund um das EPD und die Digitalisierung im Gesundheitswesen zugenommen. Dies spiegeln auch die Resultate des Swiss eHealth Barometers 2023 wider: Während zwar alle die Einführung unterstützen, wird insbesondere bei den IT-Verantwortlichen der Spitäler und bei den Pflegeheimen der erhöhte Mehraufwand im Verhältnis zum Nutzen in ihrem Berufsalltag momentan kritisch gesehen (Golder et al. 2023b: 6). Noch gibt es erst wenig Nutzungserfahrung mit dem EPD, weshalb auch sein Nutzen im Alltag der Gesundheitsfachpersonen heute noch nicht wahrgenommen wird. Erst mit einer kontinuierlichen Verbreitung und systematischen Nutzung des EPD wird sich dessen Nutzen zugunsten aller manifestieren. Je mehr Menschen ein EPD eröffnen und je mehr ihrer Behandelnden mitmachen und Dokumente im EPD ablegen, desto grösser der Nutzen des EPD.

Der Umgang mit den eigenen Gesundheitsdaten setzt auch voraus, dass die Anwenderinnen und der Anwender über die notwendigen Kompetenzen verfügen. Ein wichtiges Erfordernis hierfür sind die Gesundheitskompetenzen; also Informationen finden, verstehen und richtig anwenden zu können. Ergebnisse aus dem Swiss eHealth Barometer 2023 weisen darauf hin, dass sich ein Viertel der Bevölkerung nicht als kompetent genug einschätzt, über den Zugriff auf eigene Daten zu entscheiden (Golder et al.2023a: 18). Auch eine andere Studie bestätigt: Knapp die Hälfte der Bevölkerung hat Mühe im Umgang mit allgemeinen Informationen zur Gesundheit (De Gani et al. 2021). Gerade für vulnerable Menschen, die in der Schweiz bereits heute vergleichsweise häufig keine sozialen und gesundheitlichen Leistungen beziehen, besteht das Risiko einer weiteren sozialen Ausgrenzung (Lucas et al. 2021).

Gesetzesrevision geplant

Um mit dem EPD einen klaren Mehrwert für die Bevölkerung und das Gesundheitssystem zu schaffen, möchte der Bundesrat das EPDG anpassen. Insbesondere sollen die Aufgaben und Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen klar geregelt werden. Zudem soll die Betriebsfinanzierung der Stammgemeinschaften nachhaltig sichergestellt werden. Beispielsweise schlägt der Bundesrat vor, eine zentrale Ablage für strukturierte Daten, die einem raschen Veränderungsprozess unterliegen, zu schaffen. Diese ermöglicht einzelne Dokumente zur Medikation ad-hoc zu einem elektronischen Medikationsplan zu aggregieren. Dadurch wird ein vollständiger und rascher Zusammenzug der strukturierten Daten aus den entsprechenden Dokumenten gewährleistet, was die Aufbereitung behandlungsrelevanter Informationen vereinfachen soll. Diese und weitere Funktionalitäten sollen den Weg hin zu einem umfassenden Einsatz des EPD bereiten: Je mehr EPD von Patientinnen und Patienten sowie von Fachpersonen im Gesundheitsbereich und in Gesundheitseinrichtungen genutzt werden, desto stärker wird sich der Mehrwert einer gut abgestimmten Versorgung erweisen.

Nebst den prozessualen und technologischen Aspekten, welche die Verfügbarkeit von behandlungsrelevanten Informationen vereinfachen, automatisieren und beschleunigen, müssen Aspekte über den technologischen Veränderungsprozess hinaus im Auge behalten werden. So können auch niederschwellige Angebote von Patientenorganisationen, Gesundheitsligen und weiteren Non-Profit-Organisationen im Gesundheitswesen im Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen unterstützen und den Nutzen des EPD für alle erhöhen: für jeden einzelnen – und für alle, die am medizinischen Behandlungsweg mitwirken.

Die Revision des EPDG soll gemäss dem Bundesrat in zwei Schritten erfolgen. Dank diesem Vorgehen können dringende Massnahmen rasch umgesetzt werden. Anfang Mai 2023 endete die Vernehmlassung zur ersten Etappe. Inhalt dieser Teilrevision sind unter anderem die befristeten Finanzhilfen für die Stammgemeinschaften und die gesetzliche Verankerung des EPD als Instrument der obligatorischen Krankenversicherung (OKP).

Die Vorlage zur zweiten Etappe hat der Bundesrat am 28. Juni 2023 in die Vernehmlassung geschickt. Diese beinhaltet mit Blick auf die Weiterentwicklung des EPD prioritär die Ausweitung des Obligatoriums auf alle ambulant tätigen Gesundheitsfachpersonen, ein EPD für alle Einwohnerinnen und Einwohner, die obligatorisch krankenversichert sind oder über eine Militärversicherung verfügen, eine klare Aufgaben- und Kompetenzregelung zwischen Bund und Kantonen sowie die Regelung der Nutzung von Daten des EPD für Forschende.

Literaturverzeichnis

De Gani, Saskia M.; Jaks, Rebecca; Bieri, Urs; Kocher, Jonas Ph. (2021). Health Literacy Survey Schweiz 2019–2021. Schlussbericht (V2) im Auftrag des BAG. Zürich: Careum Stiftung.

 

Golder, Lukas; Keller, Tobias; Shena, Corina; Schäfer, Sophie; Rey, Roland (2023a). Swiss eHealth Barometer 2023 – Bericht zur Befragung der Bevölkerung. Bern: Swiss eHealth Forum in Zusammenarbeit mit gfs.bern.

Golder, Lukas; Keller, Tobias; Shena, Corina; Burgunder, Thomas; Bartlome, Ronja; Rey, Roland (2023b). Swiss eHealth Barometer 2023 – Bericht zur Befragung der Gesundheitsfachpersonen und Akteur:innen des Gesundheitswesens. Bern: Swiss eHealth Forum in Zusammenarbeit mit gfs.bern.

Lucas, Barbara; Bonvin, Jean-Michel; Hümbelin, Oliver (2021). The Non-Take-Up of Health and Social Benefits: What Implications for Social Citizenship? Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, 47(2): 161–180.

Leiter Sektion Digitale Gesundheit, Bundesamt für Gesundheit (BAG)
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Wissenschaftliche Mitarbeiterin Sektion Digitale Gesundheit, Bundesamt für Gesundheit (BAG)
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