Auf einen Blick
- Die Plattform E-rentes.ch will den Versicherten – über alle drei Säulen hinweg – einen Überblick über die persönliche Altersvorsorge ermöglichen.
- Schnittstellen (API) zwischen den involvierten Sozialversicherungen und Finanzinstituten spielen eine Schlüsselrolle.
- Der Bund muss prüfen, ob neue Rechtsgrundlagen nötig sind.
Die schweizerische Altersvorsorge fusst auf einer staatlichen, einer beruflichen und einer privaten Säule. Historisch bedingt ist der Datenaustausch zwischen den einzelnen Säulen gering (Greber und Kahil-Wolff 2009). Versicherte, die wissen möchten, mit welcher Rente sie nach der Pensionierung insgesamt rechnen können, müssen sich somit an jede Versicherung einzeln wenden – und anschliessend die Beträge zusammenzählen.
Dies ist jedoch gar nicht so einfach, denn die Berechnung von Altersrenten ist komplex. So werden Kenntnisse von diversen Gesetzen, Verordnungen und Weisungen vorausgesetzt, und es ist schwierig, den Überblick über die zahlreichen, unterschiedlich organisierten Akteure der Altersvorsorge zu behalten.
Noch komplizierter ist es, an Informationen zu gelangen, die veränderte Lebensumstände (neuer Beschäftigungsgrad, Heirat usw.) und deren Auswirkungen auf die Altersrenten simulieren können.
Den Versicherten fehlt somit in der Regel die Übersicht über die Höhe der künftigen Rente und des künftigen Alterskapitals – ausser sie lassen sich von einem Finanzinstitut beraten. Dies ist allerdings nicht für alle erschwinglich.
Kurz: In der Altersvorsorge besteht in Bezug auf Kommunikation, Information und Transparenz grosses Verbesserungspotenzial.
Da die Altersvorsorge als eine der Hauptsorgen der Schweizer Bevölkerung gilt (Credit Suisse 2022), sind präzise Daten umso wichtiger. Darüber hinaus verstärkt das Manko ein weiteres gesellschaftliches Problem: die Armut von über 65-Jährigen (BFS 2020), wo in der Schweiz verglichen mit anderen europäischen Ländern Nachholbedarf besteht. Hinzu kommt die Volatilität auf den Finanzmärkten: Die Tatsache, dass sie das Gleichgewicht der Pensions- und Ausgleichskassen gefährden könnte ist besorgniserregend.
Innovationsbedarf
Wenn die Versicherten in der Schweiz somit bessere Kenntnisse über ihre Vorsorgegelder hätten, wären sie in der Lage, Massnahmen zu ergreifen, um mögliche Vorsorgelücken zu schliessen. Was tun?
An nötigen Kompetenzen zur Digitalisierung der Altersvorsorge fehlt es der Schweiz nicht. Laut dem Innovationsindex ist die Schweiz 2021 das innovativste Land der Welt (Dutta et al. 2021: 3). Allerdings muss die Digitalisierung in der beruflichen Vorsorge rasch auf den neusten Stand gebracht werden. Technologisch hinkt die Schweiz nicht hinterher, aber finanzielle und politische Herausforderungen scheinen den Digitalisierungsprozess in der Vorsorge zu verlangsamen. Parlamentarische Vorstösse, die sich mit dem Recht auf Information befassen, könnten hier eine positive Dynamik auslösen. Schliesslich sind die Daten immer Eigentum der Versicherten – das darf man nicht vergessen.
Plattform e-rentes.ch
An der Fachhochschule Genf (HES-SO) läuft derzeit das Forschungsprojekt Digital Individual Benefit Statement (DIBS), mit dem der Zugang zu Vorsorgedaten erleichtert werden soll. Im Rahmen des Projekts soll der Prototyp einer digitalen Plattform («E-rentes.ch») entwickelt werden, über die Versicherte Informationen zu ihren Altersrenten und ihrem Vorsorgekapital zusammenstellen können. An diesem von Innosuisse mitfinanzierten Projekt wirken auch das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), die Zentrale Ausgleichsstelle (ZAS) und die beiden Softwarehersteller Globaz und Neosis Solutions mit. Der neue Service soll es Versicherten ermöglichen, ihre finanzielle Situation zum Zeitpunkt der Pensionierung anhand von Simulationen zu planen.
Die Plattform lässt sich mit einem Online-Banking-System vergleichen: Versicherte können die Prognosen in Bezug auf Rente und Vorsorgekapital über alle drei Säulen hinweg bündeln und exportieren. Berechnungen werden in der Plattform jedoch keine durchgeführt, denn E-Rentes bezieht die Daten aus den einzelnen Sozialversicherungen. Dazu werden drei Schnittstellen entwickelt, die dem Standard Application Programming Interface (API) entsprechen: OpenAK, das über die ZAS mit den Systemen der ersten Säule kommuniziert, OpenPK, das Informationen aus den Systemen der Pensionskassen abruft, und OpenPV, das auf Banken- und Versicherungssysteme zugreift.
Über die Plattform können die Versicherten eine Online-Schätzung ihrer AHV-Rente, ihrer Rente und/oder ihres Kapitals aus der zweiten Säule und (vorerst) ihres Kapitals aus der Säule 3a vornehmen. Ausserdem sind für alle drei Säulen Simulationen möglich, die die Auswirkungen eines individuellen Entscheids auf das Einkommen der Person bei der Pensionierung messen (z. B. Teilzeitarbeit, vorzeitige oder aufgeschobene Pensionierung, Änderung der persönlichen Situation). Die im Rahmen dieses Projekts entwickelte Plattform ist ein Prototyp. Die Governance steht derzeit noch zur Diskussion.
Eine grosse Bedeutung kommt dem Datenschutz zu. So haben einzig die Versicherten Zugang zu ihren Daten, welche zudem nicht auf der Plattform gespeichert werden.
Mögliche Anpassung der rechtlichen Grundlagen
Technologische Aspekte stellen bei E-Rentes nicht die Hauptherausforderung dar: Um die Plattform nachhaltig zu verankern und sie im Laufe der Zeit weiterzuentwickeln, muss eine mögliche Anpassung der gesetzlichen Grundlagen geprüft werden. Die Koordination zwischen den Akteuren muss verstärkt werden, sodass Informationen der Institutionen der drei Säulen online abrufbar sind. Welche Einheiten den künftigen Dienst verwalten, ist noch offen und muss diskutiert werden. Zudem sind in jedem Fall der Anpassungsbedarf der Rechtsgrundlagen im Bereich der drei Säulen sowie der Entwurf des Bundesgesetzes über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG) zu analysieren.
Mit dem EMBAG sollen die Rechtsgrundlagen für eine wirkungsvolle digitale Transformation in der Bundesverwaltung sowie für die Zusammenarbeit zwischen Behörden verschiedener Gemeinwesen und Dritten auf dem Gebiet des E-Governments geschaffen werden. Eine Rechtsgrundlage beschleunigt dabei die Vereinheitlichung der technischen Standards. Denn die IT-Systeme müssen modernisiert werden. Derzeit lassen sich beispielsweise aufgrund der Datenschutzvorgaben noch nicht mit allen Systemen Simulationen erstellen.
Die Plattform ermöglicht auch Banken und Versicherungen, Informationen zu ihren Angeboten – und individuelle Kontoauszüge – bereitzustellen. Dies belebt den Wettbewerb zwischen den Anbietern. Die Arbeitgeber ihrerseits können zur Effizienzsteigerung des Systems beitragen, indem sie sich modernen, transparenten Pensions- und Ausgleichskassen anschliessen.
Abschliessend lässt sich sagen: Dank dem innovativen Projekt wird die Transparenz in der Vorsorge erhöht. Die Ziele sind ehrgeizig, der Weg ist anspruchsvoll – aber nicht unmöglich. Das Projekt der Genfer Hochschule will die Altersvorsorge zugänglicher gestalten. Das setzt die Unterstützung aller Beteiligten voraus.
Literaturverzeichnis
Credit Suisse (2022). Sorgenbarometer.
Dutta, Soumitra; Lanvin, Bruno; Rivera León, Lorena; Wunsch-Vincent, Sacha (Hrg.) (2021). Global innovation index 2021: Tracking innovation through the COVID-19 crisis. Fourteenth edition. Genève: Wipa. 3–7.
Greber, Pierre-Yves; Kahil-Wolff, Bettina (2009). Introduction au droit suisse de la sécurité sociale. 4ème édition. Cahiers genevois et romands de sécurité sociale, 43. Université de Genève.
BFS (2020). Armut im Alter, BFS aktuell.